Mein gestriger Schritterekord zeigte heute Morgen deutliche Nachwirkungen. Um kurz vor zwölf quälte ich mich aus dem Bett. Nach dem Frühstück, also gegen zwei, musste ich einen harten Kampf gegen meinen inneren Schweinehund gewinnen, der mir ständig in mein maschinelles Ohr brüllte: "Leg dich sofort wieder hin! Du bist Rentner, du darfst das! Außerdem hast du gestern die halbe Erde umrundet. Sach mal, bist du bescheuert?! Sofort hinlegen!"
Wieso brüllte der eigentlich nur in das linke Ohr? Oh mein Gott, im rechten Ohr war die Hörgerätebatterie leer und ich bemerkte es erst jetzt. Kurz überlegte ich, ob ich gehorchen und mich einfach aufs Bett fallen lassen soll. Erschöpft und verpeilt, wie ich war, ließ ich aber in dem Ton nicht mit mir reden, sattelte sofort den Rucksack und machte mich auf den Weg. Meine 8.000 Schritte schaffe ich heute, war mein fester Vorsatz. Und so strebte ich am 8. autofreien Tag trotz Regenwolken den Weg in die Rheinanlagen an.
Dann plötzlich, auf der Eisenbahnbrücke Werftstraße, sah ich vor mir, was ich dort noch nie gesehen hatte, wohl aber an vielen anderen Orten: Der weiße Turm mit seinem Antennenwald auf dem Dach ist in Andernach gelandet! Im Hintergrund sonnenbestrahlt die Häuser von Feldkirchen auf der anderen (falschen) Rheinseite und davor unser Turm, den einige blog-Leser*Innen aus anderen Wanderungen an komplett anderen Orten bereits kennen.
Da guckt er raus, der ominöse White Tower |
Ich versuchte, ihn zu ignorieren, denn ich wusste ja, dass er wieder verschwindet, wenn ich kurz darauf nochmal hinschaue, und so war es auch diesmal. Da die gute Ellen heute keine Zeit für eine gemeinsame Rheinrunde hatte, entschied ich mich für einen Gang durch die Stadt. Für alle Auswärtigen, die die Burgruine mit dem Koblenzer Tor nicht nicht kennen, sei es hier vorgestellt.
So sieht sie von vorne aus |
und so von innen aus der Hochstraße fotografiert |
Wie man sieht, wird auch an der alten Mauer fleißig restauriert. Ich nehme fast an, dass mein Halbgroßneffe vierten Grades diese Maßnahmen organisiert, denn er hat sich beim Erhalt der historischen Stadtmauer in den letzten Jahrzehnten sehr verdient gemacht. Wo wir schon bei der Familie sind: Ebenso freue ich mich, dass mein nicht weit entfernter Schwager am letzten Sonntag zum neuen Oberbürgermeister gewählt wurde und wünsche ihm viel Erfolg für diese Herausforderung.
Nach einer Stippvisite bei Carmen in ihrer Kunstgalerie begleitete ich sie noch zum Café Wolke 7, wo mir gegenüber wieder einmal das Mahnmal des Spiegel-Containers ins Auge fiel.
Spiegelcontainer von vorne |
Die Erklärung |
Der Blick hinein |
Eine nicht alltägliche Form der Erinnerung an unsägliches Leid, dass hier in Andernach verursacht wurde. Nicht jeder kann sich mit dieser Darstellung anfreunden, ich finde sie sehr passend. Nicht das optisch schöne, glatte, bunte Denkmal, sondern eins, dass in seiner Form mit der rostenden Metalloberfläche für mich die Vergänglichkeit darstellt. Und auch die im Spiegel nur schwer lesbaren Namen der Ermordeten passen für mich zu diesem Anlass, wo jedes Euthanasieopfer für die Täter nur eine Nummer war. Auch schaut jeder beim Blick hinein in sein eigenes irritierendes Spiegelbild und kann, wenn er will, ins Überlegen kommen. Wie hätte ich mich damals verhalten?
Der Blick hinein ins Innere ist auch von vorne gar nicht zu sehen oder zu erahnen. erst wenn man hinter die Kulisse schaut, kann man erkennen, was da wirklich drin ist. Das weist für mich sehr viele Parallelen mit der NS-Zeit auf, als auch nicht jeder genau hinschauen wollte und sich lieber von vorne blenden ließ.
So sieht er von hinten aus |
Anschließend flanierte ich zum Marktplatz, wo seit letzter Woche das Weihnachtsdorf mit der Lebenden Krippe aufgebaut wird. Für mich das völlige Kontrastprogramm zum gerade gesehenen Mahnmal.
Die meisten Hütten auf dem Marktplatz stehen schon. |
Schlagartig wurde mir wieder klar, wieso ich Weihnachten nicht mag. Obwohl der Rummel noch gar nicht angefangen hat, begann in meinem Kopf sofort eine Melodie zu spielen.
The choir of children sing their song
Ding dong, ding dong
Ding dong, ding Ohhhh
Ohhhhhhh
Simply having a wonderful christmastime
Simply having a wonderful christmastime
Das zuckersüße Gedudel ließ mich kurz frösteln und schaudern. Aber ich gönne es jedem, daran Spaß zu haben und habe viel Respekt vor den Männern, die auch in diesem Jahr hier viele Stunden schuften, um den Großen und den Kleinen wieder die Lebende Krippe zeigen zu können. Da ist sehr viel Herzblut im Spiel, sonst ginge das gar nicht.
Hier kann bald die Lebende Krippe bewundert werden. |
Auf dem Nachhauseweg begann es leicht zu dröpseln. Auha, ich hatte meinen Zauberschirm gar nicht mitgenommen! So machte ich unterwegs einen kurzen Abstecher zum REWE, den ich mit einem leckeren Räuchertofu im Rucksack wieder verließ und dann im Trockenen heimspazierte. Nach dem gebratenen Tofu und dem Salat wurde es bereits dunkel. Aber mein Schrittzähler war da angekommen, wo ich ihn haben wollte, und das genügt für einen solchen müden Tag völlig.
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