30 September 2020

Schwupp-die-Wupp-er

Vor drei Tagen hatte mich Ricarda mit einer Nachricht erschüttert. Sie war eine Strecke mit der Regionalbahn gefahren, ohne dass es irgendeinen Zwischenfall gab. Das würde ja bedeuten, dass sie mir den Bahn-Murphy bei ihrem Besuch in Andernach letzte Woche grad wieder mit zurück gebracht hat!
Nun hatte ich den Salat: Die bereits gebuchte Bahnfahrt an die Wupper vor der Tür - und Murphy war dabei. Rici versicherte mir zwar, der würde mich heute in Ruhe lassen, weil er es beim letzten Mal zu doll getrieben hat, aber sowas wie ein schlechtes Gewissen hatte ich bisher beim Bahn-Murphy niemals erlebt, daher war ich heute sehr skeptisch.
Als ich den Andernacher Bahnhof betrat, sah ich es sofort: Die Scheibe des großen Displays in der Halle, auf der man die Abfahrts- Verspätungs- und Ausfallzeiten der nächsten Züge ersehen konnte, hatte mehrere Einschusslöcher und blieb dunkel. Die Fahrt ins Ungewisse begann. Ich begab mich mit meinem Reisegepäck an den Aufzug zu Gleis 1 - und der funktionierte. Auf Gleis 1 wurde der RE nach Koblenz angekündigt - ohne Verspätung. Und er kam auch pünktlich. Haaa, wie raffiniert!

Als ich in Koblenz pünktlich(!) und mit Handy(!) ausstieg, um am gleichen Bahnsteig gegenüber den ICE nach Norden zu nehmen, sah auch noch alles gut aus. 

Immer wieder andersrum

Aber dann:
Mein Handy sagte mir, dass der Zug 8 Minuten Verspätung hat, während die Anzeige am Gleis das verschwieg, dafür aber verkündete, dass die Wagen mal wieder in der umgekehrten Reihenfolge ankommen würden.


Aber das kannte ich bereits, das ist meistens so. Ich verstehe nicht, warum die Bahn sie nicht direkt umgekehrt am Wagenstandsanzeiger darstellt, das wäre seltener zu korrigieren. Ok, mit Hilfe einer komplexen mathematischen Berechnung ermittelte ich, wo mein Wagen mit dem reservierten Sitzplatz denn stehen würde - und verfehlte ihn nur um zehn Meter. Mein Platz war reserviert und frei, der Wagen ziemlich leer, alle hatten eine Maske an, was sollte denn nun noch kommen? Sollte Ricarda wirklich Recht behalten? Sie behielt Recht. Mit nur acht Minuten Verspätung kam ich in Wuppertal an und wurde von Fabienne freudig begrüßt. Hach!

Zwangs-Espresso vom Chef

Am Hotel empfing uns der nette Inhaber mit Espresso und Cantuccini zum Smalltalk mit Ausruhen in den bequemen Sesseln an der Rezeption. Das ist für mich schon ein wenig wie heimkommen hier.
Beim Auspacken auf dem Zimmer stellte ich fest, dass ich NICHTS(!) vergessen hatte.
Als ich vorhin vom Getränkeeinkauf im Nahkauf zurück kam, zwang er mich, einen weiteren Espresso zu trinken - und ich beugte mich. 😌

Und so sitze ich nun zufrieden im Hotelzimmer, hab ein leckeres Sushi aus dem Nahkauf gemümmelt, und freue mich auf das, was mich in den nächsten Tagen erwartet.

Das Leben ist eins der schönsten.

22 September 2020

Das Beste zum Schluss

Das Beste ist nämlich, dass ich gestern bereits ne weitere Woche gebucht habe. Es gibt hier noch so viel zu entdecken und vieles, für das ich mir mehr Zeit nehmen möchte. Und dass mein Lieblingshotel auch noch ein durchgehendes Zimmer für ne Woche frei hatte, ist die Krönung.
Daher war es auch nur ein "Bis bald" statt eines Tschökes, als uns die liebreizende Dany heute morgen mit einem Frühstücksbuffet genau nach unserem Geschmack in den Tag brachte.

Well done, liebe Dany

Auf dem Bild fehlt natürlich die gut sortierte Müsli-Cornflakes-Joghurt-Ecke, die mit vielerlei frischen Fruchtstücken garniert täglich den Abschluss meines Frühstücks lieferte. Man spürt jederzeit, mit wieviel Herzblut der Laden hier geführt wird.

Nach den vielen Spaziergängen der letzten Tage ließen wir es zum Abschluss wieder ruhiger angehen. Beim Ausflug in den Nordpark erlebte ich zum wiederholten Mal die ruhigen grünen Seiten auf den Hügeln der Stadt.

Tolle Aussichten
nach beiden Seiten





Die wenigen gut gelaunten Besucher genossen das schöne Wetter und die angenehme Sonne. Ein toller Ausblick über das Tal versüßte uns das Chillen auf den großen Liegen. 

Wir kriegen Farbe beim Chillen

Ein besonderes Highlight, auf das ich mich am meisten freute, ist der Skywalk. Den Ausblick von da konnte ich sehr genießen.

Beautiful
Wonderful












Mittags gönnten wir uns etwas zu trinken im Garten des Unverpacktladens, mit deren Betreiberin Fabi interessante Gespräche führte, in die ich mich später einschaltete, als es um Green-IT, Nager-Maus und Fairphone ging. Beim Orientalen um die Ecke schnell noch zwei Falafel-Wraps eingepackt, und ab ging's zurück ins Hotel, der Abschied nahte. Unser gemeinsamer Dattel-Mandel-Limettensaft-Snack mit dem Hotelier im schattigen Teil des Hotelgartens bildete wieder den schönen Abschluss, danach lieferte Fabi mich netterweise noch am Bahnhof ab.

Tja, der Bahn-Murphy, das ist immer so ne Geschichte. Ich kann Euch sagen, mein Plan ist aufgegangen. Der Kerl wollte nicht mehr von Ricardas Seite weichen, als wir am Samstag in Dortmund waren. Und da ist er ja gut aufgehoben. Ich muss nur Ricarda noch Bescheid sagen, dass sie beim geplanten Andernach-Besuch besser mit dem Auto fährt, dann kommt sie bestimmt gut durch und Murphy bleibt in Dortmund. Ich bin problemlos daheim angekommen und freue mich des Lebens.


21 September 2020

Von Oberbarmen bis zum Laurentius

Am Bücherladen von Jutta Lücke war ich täglich vorbei gelaufen, auf dem Weg zum  nahe gelegenen Netto-Markt und zurück. Heute hab ich es nach dem Frühstück und dem Netto-Gang endlich geschafft, ihr einen Besuch abzustatten. Zwar benötige ich derzeit wirklich kein Buch, mein SuB (Stapel ungelesener Bücher) ist schon mehrfach wegen Überschreitung der maximal zulässigen Höhe umgekippt, aber man kann sich ja auch einfach mal so umsehen in so einem tollen Buchladen. Ja, MAN kann das, ICH aber nicht, und so war ich am Ende froh, mit nur drei Büchern aus dem Antiquariat beladen wieder raus zu kommen.

Nachdem ich meinen Bücherschatz ins Hotelzimmer gebracht hatte, führte mein Weg zum Unterbarmer Bahnhof, ich wollte eine Visite in Elberfeldn mit dem Besuch eines Volksbank-Geldautomat verknüpfen. Am Ticket-Automat auf dem Bahnsteig erwarb ich ein 24-Std.-Ticket für ganz Wuppertal.

Gladbach fällt immer aus

Und wieder mal hatte ich Glück, nicht nach Gladbach fahren zu wollen. Da ich jedoch genau in diese Richtung musste, um nach Elberfeld zu gelangen, interpretierte ich das als Hinweis des Universums und beschloss spontan, auf Gleis 4 in die Gegenrichtung nach Oberbarmen zu fahren. Dort angelangt, spazierte ich in die Richtung, in der ich die Innenstadt vermutete. Als ich nach etwa zehn Minuten das letzte türkische Gemüsegeschäft hinter mir gelassen hatte und die Straße vor mir ungesunde Steigungen annahm, rekrutierte ich dann doch mein Handy. Intuition hin oder her, irgendwas stimmte ja hier nicht. Google Maps sagte mit, dass der nächste Volksbank-Automat in 1,4 km Entfernung in einer Straße zu finden sei, deren Namen ich noch nie gehört und auch zehn Minuten später wieder vergessen hatte. Mein Handy wies mir den Weg fälschlicherweise in Richtung Schwelm, also noch weiter hinaus aus Wuppertal. 

Oh du meine geliebte Sonne!

Ich erkannte dies früh genug und machte mich in die Richtung auf, aus der ich gekommen war. Weiter zehn Minuten später befragte ich Google Maps erneut und erfuhr, dass sich besagter Geldautomat um 800 Meter weiter von mir entfernt hatte. Ok, dafür tauchte in weiteren 1,3 km Entfernung in meiner Richtung ein Automat auf. Jetzt zog ich es durch und marschierte weiter und wurde tatsächlich mit dem Erreichen der Werth in Barmen belohnt. Hier steht die halbierte Sonne am Anfang des Planetenlehrpfads, hier kannte ich mich wieder aus. Oberbarmen ade, ich war in Barmen angelangt.

Tatsächlich fand ich dann auch den gesuchten Geldautomaten und war danach in der Lage, mir bei Königs Imbiss eine total ungesunde Krakauer-Currywurst mit Pommes und Mayo leisten zu können.

Das Rathaus Barmen

Als ich mich umsah, erkannte ich, dass ich bereits am Rathausplatz angelangt war. Am Barmer Rathaus, von dessen Balkon aus Fabienne schon den Weihnachtsengel gegeben hatte. Das brachte mich auf eine tolle Idee. Wir hatten bereits ein Uhr mittags, und so setzte ich mich auf eine Basaltbank direkt vor der Eingangstreppe zum Rathaus, verspeiste genüsslich meine Mahlzeit, labte mich an meiner mitgebrachten Apfelschorle, und sah vielen Menschen mit verzweifelten, grimmigen oder gleichgültig stumpfen Gesichtern zu, die am Ende ihrer  Mittagspause wieder an ihre Arbeitsplätze in der Verwaltung zurück mussten. Manche drehten noch eine kleine ovale Runde vor der Treppe, alsob sie sich noch nicht sicher wären, ob sie da wirklich wieder rein wollen. Oh mein Gott, was geht es mir gut! Da ich nach dem Mittagsschmaus ein wenig Müdigkeit verspürte, verzichtete ich auf den Fußmarsch zum Hotel nach Unterbarmen, sondern ließ mich von der S-Bahn wieder zurück kutschieren. Kilometergeld brauchte ich heute keins mehr zu verdienen.

St.Laurentius am Abend

Aus dem kleinen Lesestündchen mit Buch wurde ein laaanges Nickerchen. Am späten Nachmittag machte ich mich dann auf, um mein 24-Stunden-Ticket nicht sinnlos verfallen zu lassen. An der Rezeption verwöhnte mich der nette Hotelier noch mit einem doppelten Espresso und einem interessanten Smalltalk. Eine halbe Stunde später brachte mich der Schwebebahnexpress sicher nach Elberfeld. Hier suchte ich zielsicher den Laurentiusplatz auf, wo ich ein Stündchen in der Außengastronmie des Café Laurenz mit Römsichenm Salat, Rhabarberschorle, doppeltem Cortado und meinem Buch verbrachte.

Im Rückblick ein wunderschöner vertrödelter Tag. Hach!

20 September 2020

Über Trassen, Berge und Täler

Eine Eigenart von Wuppertal ist es, dass es nur auf der Nordbahntrasse möglich ist, von Punkt A nach B zu gelangen, ohne mindestens ein Tal durchlaufen zu haben. D.h. man muss IMMER, wenn man zu Fuss irgendwo hin will, mindestens einmal runter und einmal rauf gehen, in welcher Reihenfolge auch immer.
Da ich heute nach den Ausflügen der letzten Tage keine unnötigen langen Strecken zu Fuß gehen wollte, beschlossen Fabi und ich, heute mal gaaanz langsam zu machen.
Reichlich gestärkt mit dem leckeren Frühstücksbuffet im Hotel fuhren wir mit Fabis Knobi-Auto erstmal ans Ufer der Wupper, wo Fabi einige Probefilmaufnahmen für ihren Verlag vornahm.

Bücher an der Wupper - alles im Kasten!

Als alle Aufnahmen im Kasten waren, fuhren wir hoch zur Utopiastadt, deren Besuch eh obligatorisch ist, wenn man schon mal in Wuppertal ist. Von dort kann man einen schönen Spaziergang über die Trasse machen, flach und gemütlich bei schönstem Wetter, und dann vielleicht am Ölberg einen KLEINEN Abstecher zum Café Petite zu machen, da gibt's ganz leckere Sachen, und dann ausgeruht wieder zurück zum Ausgangspunkt.

Le praline petite

Gesagt, getan. Nach etwa 1 Kilometer verließen wir die Trasse, und somit auch die flache Strecke. Dass weitere 3,5 km mit nur 30 Höhenmetern Unterschied so anstrengend sein können, hätte ich nie gedacht. Wieso ist das so? Weil man diesen Höhenunterschied mehrfach überwinden muss, hinter jedem Tal kommt ein Anstieg, hinter jedem Anstieg geht es wieder runter. Es scheint, als hätten die Straßenbauer damals den gesetzlichen Auftrag gehabt, jedes kleine Stück Straße mit mindestens 10% Steigung oder Gefälle anzulegen, nur nicht eben, wie es ihnen bei der Nordbahnstraße kilometerweit vorzüglich gelungen ist.

So war dieTrinkpause am Café Petite dringend nötig, von Fabi mit ein paar kleinen Pralinchen süß ergänzt. Hier, in der Marienstraße, lässt es sich aushalten, ein Szene-Wohnviertel der angenehmen Art. Der Rückweg hatte es dann in sich. Man hat die Wahl zwischen langen Wegen mit moderaten Steigungen oder kurzen mit Bergsteigerniveau. Als wir gefühlte Stunden später endlich wieder die Nordbahntrasse erreichten, war das eine rechte Wohltat. Das flache Reststück ging sich wie von selbst und so genehmigten wir uns am Mirker Bahnhof eine weitere Stärkung und vor allem eine Sitzpause.  Jetzt fühlte es sich richtig gut an. Ich bin Fabi dankbar, dass mir meinen täglichen Bewegungsradius auf diese Art vergrößert. Und dass mir mein Nachmittagsnickerchen jetzt richtig gut tun wird.

Das Hutmachers im Bahnhof Mirke
Nach der Bergwanderung


19 September 2020

Die gefährliche Reise

Um den heute geplanten Ausflug einigermaßen unversehrt überstehen zu können, bereitet ich mich schon beim Frühstück gründlich vor. Eine Extra-Portion Rührei, Müsli und Cornflakes mit vielen frischen Früchten und ein Glas Orangensaft sollen mich quasi unverwundbar machen. Denn ich habe einen schwierigen Ausritt geplant. Um meine liebe Freundin und ehemalige Mitbewohnerin zu besuchen, musste ich mich (wieder mal) mitten in's Feindesland begeben.
Gut gestärkt begebe ich mich auf den kurzen Fußweg zum Unterbarmer Bahnhof und bin auch sehr gespannt, was der Bahn-Murphy heute mit mir vorhat. Ich hoffe, er wird sich ruhig verhalten, um in Dortmund schnell wieder in Ricardas Arme zu springen - und dort zu bleiben. Von außen sieht alles noch ganz harmlos aus, aber der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail.

Bahnhof Unterbarmen mit Grün drumherum

Auf dem Bahnsteig dann erste Irritationen: Der Zug nach Mönchengladbach auf dem Nachbargleis fällt aus und hat Verspätung. Wie geht das denn? Da Gladbach heute abend in Dortmund spielt, hat man wohl den richtigen Zug geopfert, kein Dortmunder fährt heute nach Gladbach.

Wer will denn nach Gladbach?
Und hier ist gar nix?









Finde den Fehler!

Gleichzeitig auf meinem Gleis eine komplett leere Anzeige. Häää?! Vielleicht bin ich heute so überspannt, dass ich es an den Augen hab? ich drehe mich lieber nochmal um und mache den Uhrenvergleich.
Komisch, siebeneinhalb Stunden sind jetzt nicht grad wenig. Sieben Stunden Zeitunterschied haben wir zwischen Wuppertal und Oklahoma City, wo die gute Christel wohnt. Zeigt die Bahn mir jetzt Oklahoma Ortszeit an?

Meine Murphy-erfahrene Intuition sagt mir jedoch, dass das alles nur Ablenkungsmanöver sind, um mich nervös zu machen. Ich muss ganz ruhig bleiben und mein Ding durchziehen. Zack!

Und tatsächlich kommt meine S7 pünktlich, nach einer Station steige ich in Oberbarmen in den RE4 nach Dortmund um - das klappt alles perfekt. Nun spüre ich fast körperlich, dass Murphy für heute aufgegeben hat und fühle mich endlich mal wieder als Sieger in diesem ungleichen Duell.

Auch der Fußweg vom Dortmunder Hauptbahnhof zur U-Bahnstation Kampstraße scheint keine Gefahr zu sein, da er nur sehr kurz ist. Und genau da passiert es: Achtlos schweift mein Blick umher und landet hier:

Nach ein paar Metern die erste Falle

Wenn ich nicht ganz schnell reagiert und die Augen geschlossen und sie sofort mit dem Reisefläschchen Sagrotan desinifiziert hätte, wäre ich auf der Stelle den Sekundentod gestorben. Plötzlicher akuter Augenkrebs. Ich schwör's!

So gestählt achte ich nun besser auf den Wegrand, überall schwatzgelbe Symbole vom Dönerladen bis zur Kneipe. Selbst in der U-Bahnstation in Etage -3 versucht mich ein Wagen in den Biene-Maja-Farben zu überraschen, aber so kurz vor dem Ziel werden sie mich nicht mehr kriegen. Punkt.

Zwei Freunde im Park

Zwanzig Minuten später ist alles überstanden. Ich stehe vor der Wohnungstür der Freundin und wir beide freuen uns über unsere Wiedersehen. Wir drehen ne Runde im nahen Park und schauen den kleinen Baseballspielern zu, nehmen ein Sonnenbad auf einer Bank, trinken anschließend Kaffee und haben uns dabei einiges zu erzählen.

Lecker Schmecker

Später spielen wir ne Runde Quixx, übrigens ein tolles Spiel, während im Ofen unser Pill-WG-Memoriam-Gemüse-Backblech schmort, dass wir vorher zusammen geschnippelt haben. Und wir haben es noch nicht verlernt, wie sich beim Essen herausstellt. Hach!
Solche schönen Nachmittage vergehen leider immer wie im Flug. Und schon ist es Zeit für den Heimweg. Die U-Bahn kommt pünktlich, der RE4 fährt pünktlich zurück, und ich nehme ab Oberbarmen die Schwebebahn, die derzeit nur am Wochenende fährt, bis zur Völklinger Straße. Durch geschickte Zeitplanung bin ich heute den schwatzgelben Horden in der verbotenen Stadt komplett aus dem Weg gegangen. Und hier im Hotel ist es für mich ein wenig wie Heimkommen.

18 September 2020

Chilltag im Grünen

Nach den Hang-Friedhöfen der letzten Tage war heute Entspannung angesagt. Nach dem Frühstück konnte ich im Hotelgarten zwei Stunden lang die Morgensonne genießen.

Frei nach Willem: Lass die Morgensonne - niemals untergehn ...

Nachmittags schlenderte ich mit Fabi durchs Luisenviertel, um die neuen Cafés zu begutachten. Urteil: GUT! Aber auch der Buchladen durfte nicht fehlen, zumals Robert Charles Wilson mit einem neuen Roman als reduziertes Mängelexemplar in der Auslage zu finden war. Anschließend nahmen wir den Bus zur Elisenhöhe, um beim leckeren Salat dort den Abschluss zu begehen. So kann ich gut erholt morgen mittag den Weg in die verbotene Stadt antreten.

17 September 2020

Vom ErBarmen nach Unterbarmen

Dank des vorgestrigen Tipps meiner Mitgästin hatte ich mich telefonisch für die heutige Führung über den Unterbarmer Friedhof angemeldet. Die Volkshochschule hatte das organisiert, gegen 5 Euro Gebühr konnte man sich ab 14 Uhr die Besonderheiten dieses großen Friedhofs zeigen lassen. Groß ist relativ, aber er ist der größte von mehr als 50 Wuppertaler Friedhöfen. In einer Viertelstunde Fußweg ist die Kapelle am Eingang locker zu erreichen. Auch die Frau, die mir den Tipp gegeben hatte, erreichte noch kurz vor knapp unsere kleine Gruppe, und so ging es denn los, immer den Hang hoch.

Der Eingang liegt im Tal, der ganze Friedhof ist komplett im Hang angelegt, was schon früher zu eigenartigen Abläufen führte. Da die Belegung seit der Gründung 1822 sukzessive von unten nach oben verlief, hatten die Sargträger irgendwann Probleme, die Kiste den ganzen Hang hinauf zu tragen. Man nahm Pferde, um den Sargwagen zu ziehen. Doch selbst die mussten zwischendurch erschöpft Rast machen - und verrichteten dabei sofort ihre Notdurft, was nicht so recht zur Beerdigungsstimmung passte. Später ging man zu motorisierten Fahrzeugen über. Das ging viele älteren Trauergästen dann viel zu flott, sie kamen nicht mehr mit. Heute tut es ein Elektrofahrzeug, das in angemessenem Tempo fährt, so dass die Sargträger links und rechts Hand anlegen und mitgehen können.

Wir erfuhren einiges über spezielle Gräber, denn hier ist neben Otto Normalverbraucher auch viel Prominenz begraben. Die hat dann anstatt eines schlichten Reihengrabs mal grad ein paar Denkmäler als Familiengrabstätte bauen lassen.

Hier liegt u.a. Ida Molineus,
Cousine von Friedrich Engels
Der Denker und die Sphinx




















Eine TOELLE Gruft, die einzige hier.

Aber auch die andere Seite des Vergänglichen war zu sehen: Grabstellen, die angelegt und irgendwann vergessen wurden.

Lost Graves: Den umgekippten Grabstein stellt keiner mehr auf

Zu guter Letzt machte ich auch noch die ein oder andere überraschende Entdeckung:

Ein Nachtsheim in Barmen

Kurz nach vier machte ich wieder auf den Weg zurück, um mir im Hotel, wo ich mit einem guten Espresso begrüßt wurde, anschließend ein wenig Augenpflege zu gönnen. Genug für heute.


16 September 2020

Ehre und ErBarmen

Eigentlich hatten wir heute vor, den bekannten Unterbarmer Friedhof zu besichtigen. Eigentlich wollte Fabi die Abgabe ihrer Masterarbeit auch nicht sooo lange feiern. Eigentlich war mir klar, dass Fabi, falls sie doch versackt, nicht um halb neun zum Frühstück im Hotel ist.
Bei so vielen "Eigentlichs" sagt einem eigentlich am Ende immer der Zufall, wie es wirklich weiter geht.

Im gestrigen Abend-Smalltalk mit der netten Gästin erzählt ich, was wir heute vorhaben. Sie wies mich daraufhin, dass am Donnerstag um 14 Uhr eine sehr interessante Führung über besagten Friedhof stattfindet, zu der man sich noch telefonisch anmelden könne. Im Veranstaltungsblättchen, das im Foyer auslag, fand ich den Hinweis und die Telefonnummer. Toll! Fabi muss aber am Donnerstag arbeiten, also werden wir wohl doch den Friedhof ohne Führung besuchen, weil wir das gemeinsam machen wollen.
Da der Hotelinhaber an der Rezeption zwangsläufig unsere Unterhaltung mithörte, kam ihm die rettende Idee: "Ich hab da letztens 'zufällig' weiter oben im Wald einen Kriegsgräberfriedhof gefunden, DEN müsst Ihr Euch mal ansehen!" Ja, wer sagt's denn! Jetzt muss nur noch Fabi mitspielen.
Aus dem "nicht so lange feiern" mit der Freundin wurde eine "nachts-durch-die Straßen-Tanz-Party" - und trotzdem erreichte mich um acht Uhr morgens die Nachricht, dass sie auf dem Weg zu mir ist. Respekt! Das wurde also aus den drei "Eigentlichs" - erstens kommt es zweitens anders als man drittens denkt!

Frühstück mit gutem Buddha

Nach einem leckeren und ausgiebigen Frühstück mit einem bewachsenen Buddha auf der Hotelterrasse erkundeten wir die Lage des besagten "Ehrenfriedhofs" am Notebook, er liegt ziemlich weit oben im Berghang auf der gegenüberliegenden Seite der Wupper. Wir beschlossen spontan, mit dem Auto dorthin zu fahren, obwohl uns natürlich ein einstündiger Spaziergang den Berg hoch überhaupt nichts ausgemacht hätte, an der frischen Luft, ist ja klar. Auch mit dem Auto brauchte es eine Weile, bis wir alle Serpentinen überwunden hatten. War vielleicht doch gut, zu fahren. 😏

Das Portal zum bergischen Löwen

Der Ehrenfriedhof Barmen hat eine interessante Ausstrahlung. Einerseits das Denkmal mit dem bergischen Löwen obenauf direkt hinter dem Eingang und das große Holzkreuz am oberen Hang. Andererseits überhaupt nichts Pompöses oder Verherrlichendes auf der ganzen großen Fläche im Hang, die durch Bäume, Sträucher und Wege in überschaubare Parzellen aufgeteilt ist. Man spürt eine schöne Ruhe, eine Friedhofsruhe der angenehmen Art. Fabi nutzte diese für ein Entspannungspäuschen auf Bänken und im Gras, hier oben war außer uns keine Menschenseele.

Mal im Kreis
Mal akkurate Reihen

Hier liegen die Gefallenen Soldaten beider Weltkriege, die entweder aus Barmen stammen oder hier im Lazarett gestorben sind, auch belgische und russische Menschen. Ich spazierte durch viele in Reihen und in Kreisen angeordnete Schilder und Steine, die in den Boden eingelassen waren. Die parallel laufenden Reihen in militärischer Präzision angeordnet, bei den Kreisen und Halbkreisen weiter oben wurde die Form immer aufgelockerter. Erschreckend zu lesen, welcher Blutzoll hier gezahlt wurde, wie viele junge Freiwillige das erste Kriegsjahr nicht überlebt haben. Menschenopfer, schießt es mir spontan durch den Kopf, wurden hier gebracht, vermeintlich für Führer, Volk oder Vaterland. Ich hoffe, es hat sich jemand ihrer Seelen erbarmt, die Ausstrahlung dieses Ortes suggeriert mir das. Im Anschluss an diesen Spaziergang durch die Gräber gönnten wir uns noch etwas Kaltes im Biergarten des Bergbahn-Restaurants, bevor wir wieder ins Tal der Wupper fuhren, um endlich das schon oft geplante Mittagessen im "Fancy Food" einzunehmen, einem kleinen schnuckeligen veganen Laden, der für die Qualität seines Essens bekannt ist.

Fancy Food fom Feinsten 😋

Mein großer, selbst zusammengestellter Salatteller vom Buffet war sehr lecker - und machte mich richtig satt. Zum Abschluss noch zwei prima Espresso Macchiato rundeten das Erlebte ab, so dass wir den aktiven Teil des Tages nun beendeten und wir beide uns zur Augenpflege verabschiedeten. Das Nachmittagsschläfchen auf dem Hotelbett war tief und fest, als ich aufwachte, war Fabi schon wieder im Training beim Tanzhaus. Sie ist jung und fit, sie kann das. Ich nicht!

15 September 2020

Familientag mit Master

Es ist vollbracht!

Obwohl ich heute aufgrund des Hotelzeitplans bereits zur unchristlichen Zeit aufstehen musste, um gegen halb neun noch Kaffee und Frühstück zu bekommen, wurde es ein schöner Tag. Nach dem Frühstück gönnte ich mir noch ein paar Stündchen Auszeit.
Als mich dann um halb drei Fabis freudige Nachricht auf dem Tablet erreichte, begann der aktive Teil des Tages. Ich bin stolz auf diese junge Frau, die mit ihrer heutigen Abgabe der Masterthesis ihr Studium sozusagen abgeschlossen hat.
Ich hatte ihre Arbeit auch im Vorfeld zum Lesen bekommen, aber schon die erste Seite nach dem Inhaltsverzeichnis zauberte mir kreuzförmige Sperrschranken in mein beschränktes Hirn und ich gab auf.
Heute feierten wir diesen Tag auf unsere eigene Weise: Nach dem ausgiebigen Begrüßungsklön machten wir uns auf den Fußweg in den Hardtpark zum Café Elise. Im dortigen Biergarten ließen wir es uns bei Flamm- und Pfannkuchen, Radler und Rhabarberschorle einfach nur gut gehen.

So sieht "gut gehen" aus ...

Ein schöner, langer Rundgang durch den botanischen Garten führte uns an allerlei Bäumen, Sträuchern, Blumen und Kräutern vorbei. Vor allem der Kräutergarten ist ein toller Genuss. Auch im September nimmt man noch viele verschiedene Gerüche wahrnehmen. Nach der vielen Bewegung mussten wir uns natürlich nochmal im Biergarten mit Wasser und Espresso Macchiato für den Heimweg stärken.


... und so der botanische Garten!

Fabi machte sich dann abends auf den Weg zum verabredeten Cocktail mit einer Freundin, während ich nochmal Mineralwasser einkaufte und anschließend im Foyer des Hotels einen leckeren Espresso vom Inhaber kredenzt bekam. In der Sitzecke ergab sich ein interessantes Gespräch mit einer netten Mitgästin, in dessen Verlauf ich ihr mit unseren beiden Broschüren eine Freude machen konnte.

Und nun sitze ich in meinem kleinen, aber feinen und sauberen Hotelzimmer mit Balkon und schreibe mit Spass diese Zeilen.

So schön können stressfreie Tage sein!

14 September 2020

Die Rückkehr des Bahn-Murphy

Und ich dachte schon, der Bahn-Murphy wäre komplett zu Ricarda gewechselt. Ich hatte das schon gefeiert, nachdem ich kürzlich problemlos nach Wuppertal und zurück gekommen war, während Ricarda ein Malheur erlebte, wie man es bis dato nur von mir kannte.

Ok, mit der Direktverbindung Koblenz-Wuppertal hatte ich es meinem treuen Begleiter richtig schwer gemacht, aber ich hatte ihn auch ein klein wenig vermisst. So ganz ohne Überraschungen war die Fahrt auch ziemlich langweilig. Aber dass er nun so zuschlägt, zeigte mir einmal mehr, dass ich diesen Mächten ziemlich hilflos ausgeliefert bin.

Begonnen hatte es damit, dass ich mich entschlossen hatte, von Andernach aus mit der Regionalbahn nach Koblenz zu fahren. Eine Stunde vorher, damit auch gar nichts schief gehen konnte. Beim Betreten des Bahnsteigs lachte mich die Anzeigetafel mit dem Hinweis an, dass der IC nach Stuttgart ausfällt. Punkt. Hinweise für Reisende: Fehlanzeige. Das fotografierte ich und schickte es meiner Freundin Petra mit dem Kommentar: "Wie gut, dass ich nicht nach Stuttgart fahre!"

Stuttgart? Pah!

Bis Koblenz verlief alles reibungslos. Ich dachte, dass es gut ist, dass von nun an auch mal die Anderen Murphys Bekanntschaft machen, nicht immer nur ich. Wer fährt denn auch nach Stuttgart? Pah! Ich stieg aus, schwebte mit meinem Geraffel die funktionierende(!) Rolltreppe hinunter, fasste an meine linke Hosentasche, um mein Handy zu zucken - und fand kein Handy! In Sekundenschnelle flitzte ich die andere Treppe wieder hoch, und sah die Rücklichter der Regionalbahn Richtung Meenz entschwinden. Mit entschwunden: Mein Handy!

In diesem Moment wurde mir ganz schmerzlich bewusst, wie abhängig ich mich von diesem seelenlosen Stück Technik fühlte. Am Infoschalter der DB wurde mir genauso schmerzlich klar gemacht, dass ich bei der Deutschen Bahn gelandet war. Wie sich herausstellte, lag mein Handy in einem Zug der MITTELRHEINBAHN, nicht der DB. Daher erklärte mir die Dame am Schalter, dass sie nichts für mich tun könne, da solle ich online bei der Mittelrheinbahn eine Verlustmeldung machen oder dieses Unternehmen anrufen soll. JA WOMIT DENN??

Raus auf den Vorplatz, das Tablet aus dem Rucksack gepuhlt, und per Messenger mein Brüderlein gebeten, dort anzurufen. Leider bekomme ich keine Empfangsbestätigung. Wieder rein in den Bahnhof, dort steht ein Münztelefon. EIN MÜNZTELEFON! Ob ich überhaupt noch weiß, wie ich das bedienen soll? Ich versuch's, werfe 70 Ct. ein, um ein Ortsgespräch mit meinem Kumpel Mike T-Bone zu führen, dessen Festnetznummer ich noch auswendig weiß. Als ich die Nummer wähle, zeigt mir das Display, dass es gerne eine Telefonkarten oder Münzen hatte, bevor gewählt wird. Ok, meine 70 ct. hatte es wieder ausgeworfen. Einzige Münzfernsprecher, der keine Münzen annimmt? Das hat mir grad noch gefehlt! Nächster Versuch, diesmal scheint er das Bargeld anzunehmen. Zum Glück ist Mike daheim und hebt an. Als ich ihm in Kurzform mein Dilemma schilderte und ihn bitte, bei dieser Privatbahn anzurufen, schreit der Apparat schon wieder nach Geld. Ich hab nur noch ein 2-Euro-Stück und werfe es ihm in den gierigen Schlund. Mike sagt zu, sich um das Handy zu kümmern und ich eile zu meinem ICE, der natürlich pünktlich ablegt. Wahrscheinlich der einzige heute. Lediglich die Reihenfolge der Wagen ist heute umgekehrt wie vorgesehen, aber ein kurzer Gleissprint mit vollem Gepäck gehört ja zu unseren leichtesten Übungen.

Jetzt kommt Entspannung auf. Mein reservierter Fensterplatz am 4er mit Tisch ist frei. Das junge Pärchen gegenüber sieht sympathisch aus. Nachdem ich mein Gepäck verstaut habe, zücke ich das Tablet, das WLAN im ICE klappt auch gut, man könnte sich fast schon in Sicherheit wiegen. Da, eine Messenger-Nachricht von meinem Brüderchen, er holt mein Handy um 15 Uhr in Bingen ab! Gott sei Dank! Und auf meine Bitte hin unterrichtet er auch Freund T-Bone, dass der Fall gelöst ist.

Juu - huu - bii - lee!

Der Tag scheint gerettet. Aber als der Zug nach kurzer Zeit immer langsamer wird, ahne ich, was jetzt kommt. Die Durchsage erzählt, dass wir einen kleinen, unplanmäßigen Stopp einlegen, und zwar in Andernach. In ANDERNACH! 

Wieder daheim

Kann mir bitte mal jemand erklären, wieso ich eine Stunde früher in Andernach einsteige, damit nur nichts schief gehen kann, und dann eine gute Stunde später wieder da am Bahnhof stehe? Wahrscheinlich damit ich Gelegenheit bekomme, mein Handy im Zug zu vergessen, oder?! Aus der kurzen Pause wird eine längere, die Türen werden zu Rauchpausen geöffnet. Ich komme mit dem Pärchen ins Gespräch, vermache ihnen ein Exemplar unserer neuen Broschüre, und die schauen ganz interessiert.
"Wo ist denn Deine Geschichte?"
Das Mädel blättert alles durch, schaut dann im Inhaltsverzeichnis.
"Die hier ist meine!"
"Ach, Manfred Nachtsheim? Bist Du das?" fragt er.
"Ja klar, das bin ich. Wieso?"
"Bist Du mit den Nachtsheims in Brieden verwandt?"
"Weiss ich nicht auswendig, aber es gibt Nachtsheim-Clans an der Mosel, von denen vielleicht."
"Ich hab da lange gelebt, da gibt es alteingesessene Nachtsheims, die kennt da jeder!"
Es folgt eine kurze familiengeschichtliche Einführung meinerseits, die bei ihm für Staunen sorgt. Und ich denke wieder mal "So klein ist die Welt!"

Der Zugführer erklärt nun nach und nach über Lautsprecher, dass vor uns, genau gesagt in Sinzig, ein anderer IC brachliegt, a) weil die Lok einen Schaden hat, den man b) möglichst schnell repariert, der sich aber c) nicht mehr reparieren lässt. Nach einer guten Dreiviertelstunde verlassen wir Andernach mit der Durchsage, dass wir einen weiteren unplanmäßigen Halt einlegen werden, und zwar in Sinzig, um die gestrandeten Passagiere des defekten ICs aufzunehmen. Auf den einen Halt kommt es jetzt auch nicht mehr an, denke ich.

Als der Zug in Sinzig hält, kommen viele Menschen rein, die alle einen Sitzplatz mit Abstand suchen. Da unser Zug nur schwach belegt war, ist es für die ersten Gestrandeten auch kein Problem. Aber es werden mehr, immer mehr. Nach einer Weile macht der Zugführer darauf aufmerksam, dass dies nur der Zug für die Fernreisenden ist und dass alle, die auf die Regionalbahn nach Kölle warten, wieder aussteigen und auf die nächste Regionalbahn warten müssen. Dieser Zug sei so überfüllt, dass er nicht eher losfahre, bis die alle wieder draußen sind. Die nächste Völkerwanderung setzt sich in Bewegung, auch meine 2 Begleiter verabschieden sich, denn auch sie wollen nur bis Kölle.
Einen Sitz weiter gegenüber hat sich ein älterer Herr (ja, noch älter als ich!) niedergelassen, der mit Reisegepäck für 8 Wochen unterwegs ist und das gut verteilt im Wagen deponiert. Er schaut öfters zu mir rüber, wirkt sehr unruhig, steht immer wieder auf. Als er in Kölle auch zum Ausgang geht, befürchte ich schon, dass er seine Baseballkappe am Haken vergessen hat, dann registriere ich, dass auch unter dem Sitz noch Taschen stehen. Auf dem Bahnsteig sehe ich ihn, wie er sich schnell eine Fluppe anmacht und dran so intensiv zieht, als wolle er sie mit 3 Zügen wegziehen.

Bis Wuppertal passiert nix mehr. Da die Schwebebahn derzeit nur am Wochenende fährt, gönne ich mir eine Taxe nach Unterbarmen. Der freundliche türkischstämmige Taxifahrer kennt das also-Hotel und bringt mich sicher ans Ziel. Mein Lieblingshotelier begrüßt mich freundlich. 

also soll alles gut werden

Und jetzt weiß ich endgültig: Alles wird gut!

Ok, eine kleine Ergänzung muss noch sein: Nachdem ich gestern alles ausgepackt und ein Stündchen Augenpflege bei offener Balkontür zum Waldhang hin eingelegt hatte, fühlte ich mich wieder stark genug für einen kleinen Spaziergang zum nahe gelegenen Netto-Markt, um mich mit einem Nudelsalat, Mineralwasser und Knabbernüssen zu versorgen. Als sich dort kein Einkaufwagen mit dem Chip entriegeln ließen, befürchtete ich schon, dass nun auch Einkaufswagen zum ÖPNV-Blockade-Bereich meines Murphys zählten. Das ärgerte mich in dem Moment maximal, so dass ich diesem Riegel mit kurzem manuellem Handanlegen zeigen musste, wer hier die Zügel in der Hand hat.
Nach dem Einkauf kam ich fröhlich wieder im Hotel an, wuppte meinen Rucksack locker leicht die 2 Etagen hoch, öffnete meine unverschlossene Zimmertür (hier klaut keiner!) und sah einen mir unbekannten Herrn sowohl mit meinem Notebook hantieren als auch mit meinem Handy telefonieren.

Kurz bevor ich diesem Einbrecher Manieren beibringen wollte (ja, genau wie dem Einkaufswagen!), fiel mir auf, dass sich mein Handy ja auf dem Weg von Bingen nach Koblenz im Auto meines Bruders befand. und überhaupt, das Notebook war schwarz statt rot, hatte er das auf die Schnelle umlackiert? Da dieser Mensch auch keine Fluchtversuche unternahm, sondern mich freundlich, aber bestimmt ansah, als wollte er sagen "Was machen Sie denn in meinem Zimmer?", sah ich erstmal von meinem Vorhaben des körperlichen Verweises ab. Ich war irritiert. Und dann begriff ich es.
Oh mein Gott, wie peinlich! Und ich fand die Geschichten immer tragisch, aber auch lustig, in denen ältere Menschen ihren Einkauf in die falsche Wohnung oder ins falsche Haus schleppen. "Wenn ich mal soweit bin ..." hab ich immer angedacht, aber nicht weiter gedacht. Jetzt bin ich soweit! Mit einer gestammelten Entschuldigung "Oh, ich muss mich wohl im Zimmer vertan haben!" und seiner Antwort "Sieht so aus!" schlich ich mich von dannen und betrat das Zimmer hinter der benachbarten Tür. Oh Mann!

11 September 2020

Mon royal petit déjeuner


Und das schon um halb acht - mitten in der Nacht! Jeder kann sich vorstellen, wie verknautscht ich um viertel nach acht bei meiner lieben (Ex-)Kollegin vor der Tür stand. Besagte Frau Wichtig hatte mich überredet, am heutigen dezentralen Betriebsausflug nicht nur in der gemischten Gruppe zu starten (7 Frauen und ich als Hahn im Korb), sondern auch noch den Chauffeur zu spielen.
Pünktlich um halb neun fuhren wir am Treffpunkt an der Tanke vor, wo wir bereits vom Rest erwartet wurden. Es war nicht ganz der Rest, die erste Kollegin war uns hier schon verlustig gegangen, sie sollte später zu uns stoßen. Ok, 2 Mädels waren schnell eingeladen und ab ging die wilde Fahrt ins Maifeld.

Frau Wichtig hatte uns für neun Uhr zum Frühstück in der Bauernschmause in Polch angemeldet. Den zweiten Wagen steuerte die Kollegin aus der Augst, die sich hier sozusagen auf ausländischem Territorium bewegte, und so bildeten wir eine Kleinkolonne, ich voran und sie hinterher.
Pünktlich und ohne Zwischenfälle standen wir in Polch an der Bauernschmause, wo wir feststellten, dass zwei weitere Kleingruppen auf die gleiche Idee gekommen waren, so wurde es ein freudiges "Hallo!" Der große gedeckte Tisch, an dem wir Platz nahmen, entschädigte bereits für Vieles. Und als ich nach dem ersten Schluck Kaffee begann, das gemütliche Ambiente mit offenen Augen zu betrachten, dachte ich "Wie schön!".

Frühstück in der Bauernschmause

Wir hatten reichlich Auswahl und ebenso viel Platz, und das genossen wir sehr ausgiebig. Mit sechs Damen am Tisch kann man sich auch vorstellen, dass es keinen Mangel an interessanten Gesprächen hab. Als wir gegen halb zwölf zur nächsten Etappe antraten, waren wir alle gesättigt bis zum Anschlag.

Im bewährten Kolonnenmodus erreichten wir stressfrei das beschauliche Monreal, wo uns Carola 15 Jahre nach ihrem letzten Besuch fehlerfrei den Weg zum Parkplatz am Friedhof zeigte. Nach ein paar Minuten Fußweg erwartete Herr Geisbüsch uns zusammen mit der vermissten Kollegin in der Ortsmitte zur Führung durch das idyllische Örtchen, und die war allererste Sahne. Z.B. die Herleitung des Ortsnamens aus aus dem französischen "Mon royale" hatte ich überhaupt nicht erwartet.

Sehr viel Interessantes zur bewegten Geschichte des Ortes und einiger Gebäude und Brücken machten uns schnell klar, dass das Leben hier über Jahrhunderte hinweg alles anderes als beschaulich war.

Blick auf die Philippsburg
Blick auf die Löwenburg

Die Herrschaft derer von Virneburg, welche beide Burgen errichteten, die pausenlose Abwechslung von plündernden Soldaten und kleineren Naturkatastrophen waren die Ursache dafür, dass das Örtchen mehrfach zerstört war und stets wieder aufgebaut wurde. 
Über Jahrhunderte prägten die Woll- und Leinenweber das Bild des wohlhabenden Ortes, heute ist nur noch ein einziger Webstuhl aus diesen glorreichen Zeiten erhalten. Mehrfache Strukturwandel haben nur noch die Optik der Häuser überleben lassen, die zum großen Teil aus dem 18./19. Jahrhundert stammen. Ein ganz altes Haus hat überlebt, das noch aus dem 13. Jahrhundert stammt.

Ein Brückchen über die Eltz

Sieben auf einen Streich


Nach dieser Exkursion beendeten wir den schönen Ausflug mit einem leckeren Getränk im Biergarten des alten Pfarrhauses. Liebe Frau Wichtig, liebe Kolleginnen, Ihr habt mir einen sehr schönen Tag beschert, DANKE!

02 September 2020

Identitäre Verstrahlung

Gestern durfte ich meinem Briefkastens erstmals ein gelbes Faltblatt entnehmen, mit dem die sogenannte Identitäre Bewegung nun auch in Andernach auf sich aufmerksam machen will.

Ziemlicher Plumpaquatsch

Meine anfängliche Hoffnung, dass mich nur einer persönlich damit ärgern will, wurde ein paar Stunden später jäh zerstört, als mein Nachbar diese Pamphlet ebenfalls aus seinem Briefkasten zog. Da mein Nachbar und Freund ein sehr ordentlicher Mensch ist, entsorgte er den Flyer sofort sachgerecht in der blauen Papiertonne.
Fast war ich geneigt, den Verfassern in einer email zu raten, das Ding zukünftig direkt in blau zu drucken, damit die Zuordnung zur richtigen Tonne einfacher ist. Aber ich war einfach zu neugierig darauf, welche Ziele und Forderungen diese Bewegung hat und welche Werte, welche Identität und welche 3000-jährige Kulturgeschichte sie aktiv und patriotisch verteidigen will, um ihre Worte zu benutzen. 

Forderungen und Ziele:
1.Bild: Brandenburger Tor mit Banner "Sichere Grenzen - sichere Zukunft!
1.Überschrift: HEIMATLIEBE UND PATRIOTISMUS als Normalzustand
2.Bild: Blonde Frau mit Blumenkranz im Haar
2.Überschrift: VERTEIDIGUNG DES EIGENEN und der Vielfalt der Völker
3.Bild: Viele Frauen mit Kopftuch, alles im Halbdunkel
3.Überschrift: Stopp des GROSSEN AUSTAUSCHES

Weiterhin melden sich 3 junge AKTIVISTEN zu Wort, alle 25 Jahre alt, und die heißen natürlich Melanie. Robert und Volker. Klar, Roman, Fatma und Boubacar sind zwar auch hier geboren, aber die sind passen nun gar nicht in dieses ideologische Geschwurbel.

Nach kurzem Überfliegen dieses patriotischen Manifests gab mir besonders die ethnologische Richtschnur Rätsel auf. Mit einem ähnlichen Ansatz war 1933 schon einmal ein kleiner Puppenspieler an die Macht bekommen, um die halbe Welt in Tod und Verwüstung zu treiben. Er nannte diese wichtige rassische Abstammung damals nicht ethnologisch, sondern arisch. Wenn ich mir unsere Geschichte betrachte und mir anschaue, welche Heere, Händler, Flüchtlinge und Besatzungen aller Couleur in den letzten 3.000 Jahren durch Mitteleuropa gezogen sind und ihre nachweislichen ethnologischen und genetischen Spuren in uns hinterlassen haben, finde ich beim besten Willen keinen Ansatz, hier eine patriotische einzigartige Identität zu finden.

Ich habe kürzlich von einer Idee gelesen, die mir auf Anhieb supergut und sinnvoll erscheint:
Man sollte allen, die etwas von unserer einzigartigen Rasse von sich geben, egal wie auch immer sie es verklausulieren und egal, ob sie zu den identitären Reichsverschwörern oder den AFNPD-Patrioten mit Reichskriegsflagge oder sonst einem rechten Haufen angehören, einen verpflichtenden DNA-Test vorschreiben und sie zwingen, sich ihre eigene ethnologische Zusammensetzung betrachten zu müssen.

Als Familienforscher, der sich auch der DNA-Analyse als Hilfsmittel bedient, weiß ich, dass jeder hier lebende Mensch einen komplett anderen Mischmasch von Genen in sich trägt.
Und der heißt nicht:
75% Teutsch
20% Nordisch
  5% sonstwas

Sondern bei mir (Familie seit vielen Generationen hier ansässig):
34,7% Brite und Ire
27,5% Nord- und West-Europäer
28,3% Balkanbewohner
  5,1% Aschkenasischr Jude
  4.4% Sarde

Bei einer (deutschen) Freundin:
36,0% Skandinavierein
33,5% Engländerin
  7,2% Nord- und West-Europäerin
23,3% Osteuropäerin

Bei einem (deutschen) Neffen 3.Grades:
44,4% Skandinavier
  2,3% Finne
21,9% Italiener
  9,1% Griechisch und Süditalienisch
  7,8% Iberer
14,5% Balkanbewohner

Und so könnte ich noch weitere "reinrassige" eigene Verwandte und Freunde aufführen, die asiatische, afrikanische und andere Anteile im Erbgut haben. Und das Erbgut lügt nicht. Daher bleibt mir zukünftig mit eurem nationalistischen Gedankengut bitte vom Hals, denn es entbehrt jeder vernünftigen Grundlage.