14 Juli 2023

"Sauwer die Hoor geschnitt"

Ich habe immer noch keine endgültige Erklärung dafür gefunden, warum ich heute mal wieder auf dem allerletzten Drücker in der Tür von Pretty Hair stand, dem Friseurladen meines langjährigen Vertrauens. Ich hatte zwischendurch immer mal kurz dran gedacht, zumal die langen Atzeln an der Seite immer öfter auf den Mikrofonabdeckungen meiner Ersatzohren rumgekritschelt haben. Aber bis zu unserer Lesung, auf der ich meine Kurzgeschichte vortragen darf, ist es ja noch Zeit. Dachte ich immer.

Als ich heute Mittag meine Bestellung in der Buchhandlung abholte, ging ich mehr zufällig auf'm Hügelchen vorbei, weil ich mir ein wenig dir Beine vertreten wollte. Als mir aus dem Friseurladen Carolin fröhlich zuwinkte, wurde mir dann siedendheiß klar, dass diese ständige "hat noch Zeit" bereits übermorgen abgelaufen ist und dass der Friseurladen morgen geschlossen hat. Da ich weiß, wie ausgebucht die Damen sind, sah ich mich schon gedanklich mit dem Cappy auf dem Kopf vorlesen, unter dem ich meine ungeordnete Haarpracht verstecken musste.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und betrat den Laden, wo Sabrina bereits im Begriff war, Feierabend zu machen, während Carolin ihre Kundschaft verschönerte. Ich gestand meine Dämlichkeit und Vergesslichkeit und fragte freundlich, ob vielleicht dennoch eventuell unter Umständen die klitzekleine Möglichkeit besteht, mich auf die Schnelle zu verarzten, irgendwie irgendwo irgendwann .....
Und Sabrina hatte nach kurzer Bedenkzeit Mitleid mit dem alten Bärenknochen, knurrte in ihrer unnachahmlichen Art "Dann setz dich!" und lächelte schnell wieder. Sabrina, du bist ein Goldstück! In gewohnter Manier und ohne Eile durfte ich diesen kleinen Wellness-Ausflug genießen. Und auch über das "Wie kurz denn?" wurden wir uns, wie immer, schnell einig. So kurz, dass mir die Haare nicht mehr ins Gesicht fallen.

Das Goldstück, der Föhn und der Bärenknochen

Wie man sieht, bin ich wieder mindestens 3 Jahre jünger und darf mich nun wieder unter Leute trauen.

So langsam komme ich heute Abend auch dahinter, wieso ich das Haareschneiden immer weiter verdrängt habe. Es muss daran liegen, dass ich in den letzten Tagen sehr viel in der Kleinstadt Mohawk unterwegs war, mit Mathis Grouse, Dallas Younger und Diana Wood.
Im Lauf der Ereignisse fallen immer mehr Familiengeheimnisse auf, grad so wie im richtigen Leben. Diese Geschichte nimmt mich derart mit, dass ich nicht nachvollziehen kann, wieso dieses Debütwerk von Richard Russo jetzt erst als Allerletzter seiner bisherigen Romane ins Deutsche übersetzt wurde.

Darüber kann man schon einmal seinen Friseurbesuch vergessen.

2 Kommentare:

  1. Gerhard22:29

    Zeit geht eben ins Land!
    Ich lasse mir des öfteren meine Haare auch vom meiner Frau schneiden. Oder lasse einen doppeltermin ausmachen

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    1. Ich stell mir grad vor, wie Friseur*in beim Doppeltermin zwischen Euch steht, in der einen Hand die schere, in der anderen den Föhn. Multicutting statt Multitasking 🥳

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