23 Juli 2023

Kleine Gedenktour an einem bräsigen Sonntag

Wer kennt sie nicht, solche Tage? Man kommt morgens nicht aus der Liste, zu schlapp zum Aufstehen, aber auch zu unruhig, um weiter zu schlafen. So verbrachte ich den Morgen lesend und dösend im Bett, zwischendrin in ein paar bizarre Kurzträume abtauchend. Das Denken funktionierte noch nicht richtig, alles lief irgendwie neben der Spur.

Erst beim mittäglichen Frühstück fiel mir auf, dass dieser Morgen große Ähnlichkeit mit vielen Morgenerwachen aus einer anderen Zeit hatte, aus einem anderen Leben, wie es mir heute vorkommt. Eine Erinnerung an den früheren Wohnungsnachbarn, Freund und Saufkumpan, von dessen Tod ich genau heute vor einer Woche erfahren hatte. Jaa, wäre ich heute nach einem nächtlichen Zeitsprung 40 Jahre früher erwacht, dann hätte Thomas spätestens um 11 Uhr an meiner Tür geklopft. Nein, er hätte nicht geklopft, denn die Tür wäre nicht abgeschlossen gewesen. Er wäre mit einem genauso bräsigen Kopf wie dem meinen  hereinspaziert und hätte mir aus einer geöffneten Flasche Bier den ersten Frühstücksschluck angeboten.

"Ein Schluck zum Wachwerden!" hätte er gesagt und hätte sich dann schweigend auf die Couch neben meinem Bett gesetzt, bis ich mich nach dem ersten Schluck geschüttelt hätte und aufgestanden wäre. Und später hätten wir mit viel Spaß bei Siggi in der Eckkneipe am Tischkicker gestanden und uns gegenseitig die Bierchen abgejagt. So war das damals in diesem Leben.

Ich habe zwei Jahre später die Brücke in ein anderes, mein jetziges Leben, beschritten und wollte nie mehr zurück. Er hat diese Brücke damals nicht gesucht, aus welchen Gründen auch immer. Leider. Aber wenn das Rad irgendwann mal überdreht ist, die Reißleine gerissen, dann gibt es keine Brücke mehr, dann ertrinkt man langsam im zähen Sumpf, der einen nicht mehr loslässt und gegen den man mangels Kraft und Willen nicht mehr gewinnen kann. Weil ich das alles erkannte und mir dieses hoffnungslose Elend nicht länger ansehen wollte, habe ich damals den Kontakt abgebrochen und bin heute noch froh darüber, das getan zu haben.
Mit diesem Gemisch aus teilweise schönen Erinnerungen und melancholischer Traurigkeit verbrachte ich die nächsten Stunden, um mir am späten Nachmittag dann doch den Kick zur Frischluftrunde zu geben. Und diesmal führte sie mich in die Heimat meines verstorbenen Freundes. Ich drehte eine kleine Runde um die Straßen seines Elternhauses und seiner letzten Wohnadresse, die ich im Telefonbuch fand.

Ein Denkmal von Weitem
Eine Kapelle von Nahem

Thomas' Vater war viele Jahre lang mit der Aufsicht und Pflege des französischen Denkmals betraut und erfüllte seine Aufgaben stets gewissenhaft. Unweit davon hat man von einer Kapelle aus einen kleinen Ausblick über das Rheintal, dessen Türme unterschiedlicher nicht sein könnten.

Blick von der Kapelle ins Rheintal

Die Kapelle war verschlossen und bot auch, soweit ich das sehen konnte, keine Möglichkeit, eine Gedenkkerze aufzustellen. Also werde ich das in den nächsten Tagen an anderer Stelle tun. Thomas und auch Dana werden bestimmt von oben zusehen und sich darüber freuen.

Das Denkmal selbst ist einem französischen General gewidmet und entsprechend imposant gestaltet. Es beeindruckt mich immer wieder, trotz seines schlichten Designs.

Bis 1994 wurde die Anlage von französischen Veteranen gepflegt.

Obwohl es nicht auf dem höchsten Punkt des Geländes errichtet wurde, thront es ein wenig über dem Städtchen. Auf der Rückseite befindet sich der Eingang zu einer Gruft, einer Grabkammer. Wer heute die Aufsicht darüber führt, weiß ich gar nicht, ist mir aber auch egal. Ich sehe Thomas vor mir, wenn er von seinem Vater besucht wurde und hinterher stets ein paar Mark mehr im Portemonnaie hatte. 

Dann war wieder das ein oder andere Bierchen fällig. Und wir hatten viele solche vergnügter Abende. Damals, im anderen Leben.


Ganz zum Schluss fiel mir ein kleiner Seitenausgang auf, an den ich mich gar nicht mehr erinnern konnte. Hier führt ein idyllischer Pfad entlang, der auch mit einem Kreuzweg versehen ist, zumindest mit Teilen davon.

Nach all diesen Schritten, Ansichten und Gedanken streift ich noch kurz durch eine benachbarte Straße, in der ich nach meiner Kindheitserinnerung ab und an meine Cousinen besucht hatte, wenn wir mit unseren Eltern dort zu Besuch waren. Aber obwohl die Straße nur sehr kurz ist, fand ich kein Haus, an das ich mich irgendwie hätte erinnern können. Ich werde wohl besser die Cousinen nochmal fragen, wo genau das gewesen ist. Damals, vor 60 Jahren.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen