Vor zehn Tagen hatten wir unser Wiedersehen für den heutigen Tag geplant, nach 48 Jahren. Und seit zehn Tagen freue ich mich darauf. Wie sich nun in den letzten Tagen herausstellte, musste der heutige Tag eine besondere Bedeutung haben. Denn alle anderen Verabredungen mit Freundinnen oder Freunden waren bei diesen stets nur am heutigen Tag möglich. Bei manchen hatte ich angefragt, andere wiederum bei mir, auch spontan. Was war an diesem Tag so besonders, dass sich alle genau heute treffen wollten? Ich würde es herausfinden.
Meine frühere Deutschlehrerin hatte als Treffpunkt um 15:30 den wunderbaren Rheingarten vom Leyscher Hof in Leutesdorf vorgeschlagen, dort sitzt man schön unter Bäumen und mit dem typischen Rheinlüftchen ist es auch bei diesen Temperaturen gut auszuhalten.
Dann ein erster Ausfall: Leider dauerte die "Routine-Inspektion" am Auto meines KLBs doch viel länger als geplant, so dass dieser heute Mittag absagen musste. Ich wollte die Verabredung auf jeden Fall einhalten und machte mich früh genug auf den Weg, so dass ich um 15:20 in Leutesdorf am Rhein einparkte.
Hier wollten wir hin |
Ich hatte noch etwas Zeit und sah mir solange Andernach von der falschen Rheinseite aus an.
Fahnen über Andernach |
Als ich dann den Aushang am Rheingarten studierte, entdeckte ich den zweiten Ausfall:
HEUTE RUHETAG
Natürlich hatten wir das beide im Vorfeld nicht kontrolliert. Wer macht schon Ruhetag, wenn wir uns treffen wollen?! Als meine Lehrerin dann eintraf und aus dem Auto stieg, erkannte ich sie tatsächlich sofort. Wir hatten uns bisher lediglich über das Internet wiedergefunden und ausgetauscht, aber sie hat sich gar nicht so viel verändert, im Gegensatz zu mir. Nach einer freudigen Begrüßung eröffnete sie mir, dass sie noch einen Überraschungsgast mit dazu genommen habe, meinen früheren Klassenkameraden Gerd, der heut Oberförster der Region ist. Da Gerd ebenfalls "irgendwas mit dem Auto" hatte, schien er sich jedoch zu verspäten. Das wird doch nicht Ausfall Nr. 3 werden?! Nach kurzem Warten hängte Marie-Luise eine Zettel-Nachricht an die Heckscheibe ihres Autos und wir spazierten in Richtung der Kurtrierschen Hofs ein paar Meter weiter.
Was dort als "Biergarten" angekündigt war, bestand aus ein paar Bierzeltgarnituren auf dem schmalen Rasenstreifen neben der Rheinuferstraße und war nicht sehr einladend, zumal alle Sonnenschirme zusammengefaltet waren. So entschlossen wir uns, an einem kleinen Tisch mit Korbstühlen direkt vor der Eingangstür Platz zu nehmen, ein paar Meter über der Straße.
Mit Apfelschorle und Mineralwasser bewaffnet eröffneten wir die Zeitreise in die Vergangenheit. Ich war sehr erstaunt, an wie viele Mitschüler sie sich nach all den Jahren noch erinnern konnte. Ich als Schüler wurde in den 8 Jahren meiner Einquartierung von höchstens 40 Lehrern malträtiert unterrichtet. Aber sie hat in vielen Berufsjahren als Lehrerin unzählige Schüler und Schülerinnen kommen und gehen sehen.
Ich hatte vor einigen Jahren, bevor das große Vergessen begann, einige Sitzpläne aus meinen verschiedenen Klassen aufgezeichnet, so wie ich sie fotografisch noch im Gedächtnis hatte. Wenn man sich am liebsten in den hinteren Reihen verkrümelt, hat man von dort einen ganz guten Überblick.
Frau Dingeldey beim Studieren des alten Sitzplans der VIb von 1967 |
Sie hatte ein großes Foto des gesamten Lehrerkollegiums anlässlich der Einweihung des Neubaus unserer Schule dabei, und hier machte es nach anfänglichem Blackout bei vielen Gesichtern Klick in meiner Erinnerung. Nach einer Weile wurde es draußen zu warm und wir verzogen uns ins kühle Innere der Kneipe, um dort weiter in gemeinsam erlebten Zeiten zu schwelgen.
Irgendwann dachten wir, unsere beiden Gerds, meinen Bruder und den Klassenkameraden, würden wir wohl heute nicht mehr sehen, schade. Und dann spazierte doch noch der Forstamtsleiter samt Hund herein. Klasse!
So wurde aus dem schönen ein kompletter Tag. Gerd und ich bekundeten beide, dass wir auf der Straße aneinander vorbeigelaufen wären, aber mit dem Wissen um den Anderen uns heute wiedererkannten.
Nach mehr als drei Stunden intensiver und vor allem schöner Gespräche fanden wir zum Abschied noch einen netten jungen Mann in der Kneipe, der uns zusammen fotografierte. Wir waren so fasziniert von dieser Zeitreise, die sich aus unseren Gesprächen entwickelte, dass Gerd einmal in alte Gewohnheiten verfiel und sich mit Fingerschnipsen meldete, als er etwas sagen wollte. 😉
Ganz wie früher, jedenfalls beinahe |
Ein Bärenknochen, ein Oberförster, Marie-Luise und der Hund |
Was war es nun, was diesen Tag besonders gemacht hat? Ich sage drei Freund*Innen ab, beide Gerds und der Leyscher Hof scheinen uns abzusagen - wir treffen uns trotzdem, der eine Gerd kommt doch noch und es ist schön. Wie im richtigen Leben.
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