14 September 2020

Die Rückkehr des Bahn-Murphy

Und ich dachte schon, der Bahn-Murphy wäre komplett zu Ricarda gewechselt. Ich hatte das schon gefeiert, nachdem ich kürzlich problemlos nach Wuppertal und zurück gekommen war, während Ricarda ein Malheur erlebte, wie man es bis dato nur von mir kannte.

Ok, mit der Direktverbindung Koblenz-Wuppertal hatte ich es meinem treuen Begleiter richtig schwer gemacht, aber ich hatte ihn auch ein klein wenig vermisst. So ganz ohne Überraschungen war die Fahrt auch ziemlich langweilig. Aber dass er nun so zuschlägt, zeigte mir einmal mehr, dass ich diesen Mächten ziemlich hilflos ausgeliefert bin.

Begonnen hatte es damit, dass ich mich entschlossen hatte, von Andernach aus mit der Regionalbahn nach Koblenz zu fahren. Eine Stunde vorher, damit auch gar nichts schief gehen konnte. Beim Betreten des Bahnsteigs lachte mich die Anzeigetafel mit dem Hinweis an, dass der IC nach Stuttgart ausfällt. Punkt. Hinweise für Reisende: Fehlanzeige. Das fotografierte ich und schickte es meiner Freundin Petra mit dem Kommentar: "Wie gut, dass ich nicht nach Stuttgart fahre!"

Stuttgart? Pah!

Bis Koblenz verlief alles reibungslos. Ich dachte, dass es gut ist, dass von nun an auch mal die Anderen Murphys Bekanntschaft machen, nicht immer nur ich. Wer fährt denn auch nach Stuttgart? Pah! Ich stieg aus, schwebte mit meinem Geraffel die funktionierende(!) Rolltreppe hinunter, fasste an meine linke Hosentasche, um mein Handy zu zucken - und fand kein Handy! In Sekundenschnelle flitzte ich die andere Treppe wieder hoch, und sah die Rücklichter der Regionalbahn Richtung Meenz entschwinden. Mit entschwunden: Mein Handy!

In diesem Moment wurde mir ganz schmerzlich bewusst, wie abhängig ich mich von diesem seelenlosen Stück Technik fühlte. Am Infoschalter der DB wurde mir genauso schmerzlich klar gemacht, dass ich bei der Deutschen Bahn gelandet war. Wie sich herausstellte, lag mein Handy in einem Zug der MITTELRHEINBAHN, nicht der DB. Daher erklärte mir die Dame am Schalter, dass sie nichts für mich tun könne, da solle ich online bei der Mittelrheinbahn eine Verlustmeldung machen oder dieses Unternehmen anrufen soll. JA WOMIT DENN??

Raus auf den Vorplatz, das Tablet aus dem Rucksack gepuhlt, und per Messenger mein Brüderlein gebeten, dort anzurufen. Leider bekomme ich keine Empfangsbestätigung. Wieder rein in den Bahnhof, dort steht ein Münztelefon. EIN MÜNZTELEFON! Ob ich überhaupt noch weiß, wie ich das bedienen soll? Ich versuch's, werfe 70 Ct. ein, um ein Ortsgespräch mit meinem Kumpel Mike T-Bone zu führen, dessen Festnetznummer ich noch auswendig weiß. Als ich die Nummer wähle, zeigt mir das Display, dass es gerne eine Telefonkarten oder Münzen hatte, bevor gewählt wird. Ok, meine 70 ct. hatte es wieder ausgeworfen. Einzige Münzfernsprecher, der keine Münzen annimmt? Das hat mir grad noch gefehlt! Nächster Versuch, diesmal scheint er das Bargeld anzunehmen. Zum Glück ist Mike daheim und hebt an. Als ich ihm in Kurzform mein Dilemma schilderte und ihn bitte, bei dieser Privatbahn anzurufen, schreit der Apparat schon wieder nach Geld. Ich hab nur noch ein 2-Euro-Stück und werfe es ihm in den gierigen Schlund. Mike sagt zu, sich um das Handy zu kümmern und ich eile zu meinem ICE, der natürlich pünktlich ablegt. Wahrscheinlich der einzige heute. Lediglich die Reihenfolge der Wagen ist heute umgekehrt wie vorgesehen, aber ein kurzer Gleissprint mit vollem Gepäck gehört ja zu unseren leichtesten Übungen.

Jetzt kommt Entspannung auf. Mein reservierter Fensterplatz am 4er mit Tisch ist frei. Das junge Pärchen gegenüber sieht sympathisch aus. Nachdem ich mein Gepäck verstaut habe, zücke ich das Tablet, das WLAN im ICE klappt auch gut, man könnte sich fast schon in Sicherheit wiegen. Da, eine Messenger-Nachricht von meinem Brüderchen, er holt mein Handy um 15 Uhr in Bingen ab! Gott sei Dank! Und auf meine Bitte hin unterrichtet er auch Freund T-Bone, dass der Fall gelöst ist.

Juu - huu - bii - lee!

Der Tag scheint gerettet. Aber als der Zug nach kurzer Zeit immer langsamer wird, ahne ich, was jetzt kommt. Die Durchsage erzählt, dass wir einen kleinen, unplanmäßigen Stopp einlegen, und zwar in Andernach. In ANDERNACH! 

Wieder daheim

Kann mir bitte mal jemand erklären, wieso ich eine Stunde früher in Andernach einsteige, damit nur nichts schief gehen kann, und dann eine gute Stunde später wieder da am Bahnhof stehe? Wahrscheinlich damit ich Gelegenheit bekomme, mein Handy im Zug zu vergessen, oder?! Aus der kurzen Pause wird eine längere, die Türen werden zu Rauchpausen geöffnet. Ich komme mit dem Pärchen ins Gespräch, vermache ihnen ein Exemplar unserer neuen Broschüre, und die schauen ganz interessiert.
"Wo ist denn Deine Geschichte?"
Das Mädel blättert alles durch, schaut dann im Inhaltsverzeichnis.
"Die hier ist meine!"
"Ach, Manfred Nachtsheim? Bist Du das?" fragt er.
"Ja klar, das bin ich. Wieso?"
"Bist Du mit den Nachtsheims in Brieden verwandt?"
"Weiss ich nicht auswendig, aber es gibt Nachtsheim-Clans an der Mosel, von denen vielleicht."
"Ich hab da lange gelebt, da gibt es alteingesessene Nachtsheims, die kennt da jeder!"
Es folgt eine kurze familiengeschichtliche Einführung meinerseits, die bei ihm für Staunen sorgt. Und ich denke wieder mal "So klein ist die Welt!"

Der Zugführer erklärt nun nach und nach über Lautsprecher, dass vor uns, genau gesagt in Sinzig, ein anderer IC brachliegt, a) weil die Lok einen Schaden hat, den man b) möglichst schnell repariert, der sich aber c) nicht mehr reparieren lässt. Nach einer guten Dreiviertelstunde verlassen wir Andernach mit der Durchsage, dass wir einen weiteren unplanmäßigen Halt einlegen werden, und zwar in Sinzig, um die gestrandeten Passagiere des defekten ICs aufzunehmen. Auf den einen Halt kommt es jetzt auch nicht mehr an, denke ich.

Als der Zug in Sinzig hält, kommen viele Menschen rein, die alle einen Sitzplatz mit Abstand suchen. Da unser Zug nur schwach belegt war, ist es für die ersten Gestrandeten auch kein Problem. Aber es werden mehr, immer mehr. Nach einer Weile macht der Zugführer darauf aufmerksam, dass dies nur der Zug für die Fernreisenden ist und dass alle, die auf die Regionalbahn nach Kölle warten, wieder aussteigen und auf die nächste Regionalbahn warten müssen. Dieser Zug sei so überfüllt, dass er nicht eher losfahre, bis die alle wieder draußen sind. Die nächste Völkerwanderung setzt sich in Bewegung, auch meine 2 Begleiter verabschieden sich, denn auch sie wollen nur bis Kölle.
Einen Sitz weiter gegenüber hat sich ein älterer Herr (ja, noch älter als ich!) niedergelassen, der mit Reisegepäck für 8 Wochen unterwegs ist und das gut verteilt im Wagen deponiert. Er schaut öfters zu mir rüber, wirkt sehr unruhig, steht immer wieder auf. Als er in Kölle auch zum Ausgang geht, befürchte ich schon, dass er seine Baseballkappe am Haken vergessen hat, dann registriere ich, dass auch unter dem Sitz noch Taschen stehen. Auf dem Bahnsteig sehe ich ihn, wie er sich schnell eine Fluppe anmacht und dran so intensiv zieht, als wolle er sie mit 3 Zügen wegziehen.

Bis Wuppertal passiert nix mehr. Da die Schwebebahn derzeit nur am Wochenende fährt, gönne ich mir eine Taxe nach Unterbarmen. Der freundliche türkischstämmige Taxifahrer kennt das also-Hotel und bringt mich sicher ans Ziel. Mein Lieblingshotelier begrüßt mich freundlich. 

also soll alles gut werden

Und jetzt weiß ich endgültig: Alles wird gut!

Ok, eine kleine Ergänzung muss noch sein: Nachdem ich gestern alles ausgepackt und ein Stündchen Augenpflege bei offener Balkontür zum Waldhang hin eingelegt hatte, fühlte ich mich wieder stark genug für einen kleinen Spaziergang zum nahe gelegenen Netto-Markt, um mich mit einem Nudelsalat, Mineralwasser und Knabbernüssen zu versorgen. Als sich dort kein Einkaufwagen mit dem Chip entriegeln ließen, befürchtete ich schon, dass nun auch Einkaufswagen zum ÖPNV-Blockade-Bereich meines Murphys zählten. Das ärgerte mich in dem Moment maximal, so dass ich diesem Riegel mit kurzem manuellem Handanlegen zeigen musste, wer hier die Zügel in der Hand hat.
Nach dem Einkauf kam ich fröhlich wieder im Hotel an, wuppte meinen Rucksack locker leicht die 2 Etagen hoch, öffnete meine unverschlossene Zimmertür (hier klaut keiner!) und sah einen mir unbekannten Herrn sowohl mit meinem Notebook hantieren als auch mit meinem Handy telefonieren.

Kurz bevor ich diesem Einbrecher Manieren beibringen wollte (ja, genau wie dem Einkaufswagen!), fiel mir auf, dass sich mein Handy ja auf dem Weg von Bingen nach Koblenz im Auto meines Bruders befand. und überhaupt, das Notebook war schwarz statt rot, hatte er das auf die Schnelle umlackiert? Da dieser Mensch auch keine Fluchtversuche unternahm, sondern mich freundlich, aber bestimmt ansah, als wollte er sagen "Was machen Sie denn in meinem Zimmer?", sah ich erstmal von meinem Vorhaben des körperlichen Verweises ab. Ich war irritiert. Und dann begriff ich es.
Oh mein Gott, wie peinlich! Und ich fand die Geschichten immer tragisch, aber auch lustig, in denen ältere Menschen ihren Einkauf in die falsche Wohnung oder ins falsche Haus schleppen. "Wenn ich mal soweit bin ..." hab ich immer angedacht, aber nicht weiter gedacht. Jetzt bin ich soweit! Mit einer gestammelten Entschuldigung "Oh, ich muss mich wohl im Zimmer vertan haben!" und seiner Antwort "Sieht so aus!" schlich ich mich von dannen und betrat das Zimmer hinter der benachbarten Tür. Oh Mann!

2 Kommentare:

  1. Alles wird gut!
    Der Hauptbahnhof in Bingen ist gut versteckt aber auffindbar und hat einen Parklpatz vor der Haustür, der in Corona recht leer ist.

    Spontaner Eindruck: irgendwo zwischen "lost place" und Bronx.

    Das Brüderchen ;-)

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    1. Ich bin sehr froh, einen solchen Sternenmann als Bruder zu haben. Danke, mein Guter!

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