02 März 2019

Hamburg in sechs Stunden

Der letzte Hamburgbesuch meines Reisebegleiters und Freundes Mike T-Bone fand in seiner Kindheit statt. Also kurz nach dem Krieg. Daher war er freudig gespannt, was ihn bei unserer heutigen Stippvisite dort erwarten würde. Wir waren schon früh auf den Beinen, erlebten jedoch im Bahnhof die neueste Variante einer Optimierungsmaßnahme, wie sie sich wahrscheinlich nur die Bahn ausdenken kann.
Hinter der Bahnhofstür ein Info-Schalter der Deutsche Bahn, hinter dem ein Beamter stand, der nur eine Kundin beriet, keine Warteschlange, klang schon mal gut. Das Warten zog sich doch einige Minuten hin, da die beiden wohl Ausführlicheres zu bereden hatten. Dann entdeckte ich eher zufällig das Schild neben dem Schalter, welches darauf hinwies, dass hier nur Infos, aber keine Fahrkarten erhältlich sind. Die gebe es am anderen Ende der Bahnhofshalle, im Reisezentrum.
Ok, kehrt marsch, am anderen Ende tatsächlich ein "Reisezentrum" mit zwei besetzten Schaltern und nur einer Kundin. Auf den 3,50 Meter zum freien Schalter gestikulierte die Schalterdame freundlich mit den Armen und deutete auf einen Ständer mit Display kurz hinter der Eingangstür. Irgendwann verstand ich, was sie will, schaute mir das Display genauer an. In diesem zeigte ein beschrifteter Pfeil auf einen Punkt in der Mitte. "Bitte hier drücken, um eine Nummer zu ziehen!" Ok, vielleicht waren ja noch Leute vor mir dran, die sich wegen Karneval als "Invisible Man" verkleidet haben. Ich drückte auf den Touchscreen, entnahm den Zettel mit einer Nummer, und wartete.
Wieder gestikulierte die nette Dame und bat mich zu sich.
"Und jetzt geben sie mir den Zettel!"
Machte ich.
"Wie kann ich ihnen helfen?"
Nachdem ich meine Verblüffung überwunden und meine Sprache wiedergefunden hattee, verkaufte sie mir das passende Ticket, wies mich aber darauf hin, dass ich meinen Namen auf der Vorderseite und den von Mr. T-Bone auf der Rückseite eintragen müsse, damit das Ticket gültig ist. Ich fragte vorsichtshalber nach, ob ich den Nummernzettel, den ich ihr gegeben habe, auch unterschreiben müsse. Musste ich nicht.
Wir verabschiedeten uns freundlich und verließen perfekt ausgerüstet das Reisezentrum, nachdem sie uns darauf hingewiesen hatte, dass der 10:08-Zug jetzt weg ist. Der Nächste fuhr eine Stunde später.
Spätestens hier erkennt der geneigte Leser ohne weitere Erklärungen, wo die Probleme der "Deutsche Bahn" liegen.

Wir nutzten die freie Zeit positiv, spazierten durch die umliegenden Straßen auf dieser Seite des Bahnhofs, die uns bisher unbekannt war, und entdeckten eine weitere große Niederlassung der Landwege. Eine supertolle demeter-Partner-Genossenschaft regionaler BIO-Landwirte, die hier wie auch in der Lübecker Altstadt auf großer Fläche ihre Produkte und sehr vieles mehr verkaufte. Alles, was man hier findet, stammt entweder aus der Region oder stammt von Rapunzel, Völkel oder anderen alnatura-affinen Produzenten. So etwas würde ich mir in unserer Region wünschen.

Nachdem wir uns mit Getränken und Knabbereien für die Fahrt nach Hamburg ausgestattet hatten, traten wir die Reise an in einer pünktlichen Regionalbahn mit WLAN und ausreichend freien Plätzen. Auch sowas gibt es. Nach kurzen außerplanmäßigen Verzögerungen auf der Strecke kamen wir im Hauptbahnhof an. Nun die spannende Frage: Wohin führe ich Mr. T-Bone in den paar Stunden Hamburg, die uns zur Verfügung standen? Eine gesunde Mischung aus "Muss man mal gesehen haben" und meinen Lieblingsplätzen sollte es sein.
Den Anfang machte natürlich das Schanzenviertel. Zwei S-Bahnstationen vom Hauptbahnhof entfernt, ging es am frank und frei vorbei in die Susannenstraße zum kostbar, wo wir unsere erste Auftankstation mit Cappuccino und dunkler Schokolade einlegten. Auch wenn die Schanze sich verändert hat, lohnte dennoch ein Rundgang durch die Bartelstraße zur Schanzenstraße, wo ich im Fachgeschäft endlich den fehlenden Käsehobel erstand (zum Preis einer Küchenmaschine) und dann über Schulterblatt wieder zurück bis zum Schanzenbuch, das ich bei keinem Hamburgbesuch auslassen darf. Immerhin schaffte ich es diesmal, nach langem Stöbern den Laden zu verlassen, ohne ein einziges Buch gekauft zu haben. Allerdings weiß ich nun, was ich mir daheim in der lokalen Buchhandlung vorbestelle ;-)

Manfredo Ottenso

Zurück zur S-Bahn, zwei Stationen weiter nach Altona. Ein kleiner Rundgang durch Ottensen brachte uns zu tollen Breakdance-Jungs, die artistische Nummern vor großem Publikum abzogen, vorbei am Kurth und am BIO-Stammhotel Schanzenstern zum zweiten Mampfstopp beim Kumpir-Türken, von Mike T-Bone aufgrund seiner altersbedingten Sehschwäche sofort als "Krumbier-Laden" identifiziert. Zwei leckere Falafel-Dürüm stärkten uns für den Rest des Tages, denn wir hatten ja noch was vor.

Betrieb auf dem Jungfernstieg - im März!

Zwei in der Koppel

Nach S-Bahn-Stopps mit Rundgang an den Landungsbrücken und am Jungfernstieg kamen wir wieder am Hauptbahnhof an und spazierten sofort weiter nach St.Georg in die Lange Reihe. Die Espressi in der Koppel 66 mundeten primella und putschten uns für die Rückreise, die ich ohne großes Nachdenken in der S-Bahn nach Altona antrat. Zum Hotel Schanzenstern, wie immer in Hamburg. Wir bemerkten es glücklicherweise schnell, fuhren vom Dammtor aus wieder zurück und dort stand bereits unser Regionalexpress nach Lübeck, mit freien Plätzen und WLAN.

Ein langer schöner Tag neigt sich dem Ende zu, mit Kilometergeld wären wir reich geworden, so wurden wir nur müde. Für morgen haben wir einen Ruhetag beschlossen, irgendwann ist ja auch mal gut.

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