03 März 2019

Am siebten Tage sollst Du ruhen ...

Aufgrund des göttlichen Edikts (und unserer müden Beine) beschlossen wir, heute einen Ruhetag einzulegen, bevor wir uns morgen in den Rosenmontagstrubel stürzen. Das morgendliche Frühstücksbuffet im Hotel Stadt Lübeck entspricht übrigens genau unseren Vorstellungen: Vielfältig, reichlich und bezahlbar. Ich gönnte mir heute morgen eine Schnitte und eine Tasse Kaffee mehr, wusste ich doch, dass ich mich anschließend wieder wohlig auf dem Bett ausstrecken und nochmal zwei Stunden Augenpflege betreiben würde.
Beim flüchtigen Blick in die Frühstücksrunde fiel mir ein Mann auf, dessen Anblick mir sofort suggerierte: Dazu schreibst Du nachher eine fiktive Geschichte! Und hier ist sie:


The Eggman

Ich erblickte ihn in der gegenüberliegenden Ecke des Frühstücksraums der Pension Fegefeuer. Er saß alleine am kleinen Ecktisch und brauchte ziemlich lange, um seinen untersetzten Körper vom Stuhl hoch zu wuchten. Ich schätzte ihn auf Mitte Sechzig. Frontseitig war er mit einer Prachtplauze ausgestattet, die irgendwie zu seiner gedrungenen Statur passte. Auf seinen breiten Schultern ruhte ein mächtiger Kopf mit einem dicken Heiner-Brand-Gedächtnis-Schnauzbart. Die glatten, blonden Haare waren etwas zu lang, der Friseurbesuch war sichtbar überfällig.
Obwohl jede Bewegung gequält und mühsam wirkte, blieb sein Gesicht völlig ausdruckslos. Und was mich am meisten irritierte: Der Blick seiner leeren Augen machten mir regelrecht Angst.
Er wackelte langsam zum Buffet, bei Gegenverkehr in den schmalen Gängen zwischen den Tischen blieb er einfach so lange stehen, bis die Anderen Platz machten und ein Stück zurück gingen oder sich seitwärts zwischen die belegten Tische quetschten. Ich bemühte mich, ihn nicht zu auffällig anzustarren, wie er sich stoisch durch die Reihen kämpfte, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Aber es fiel mir schwer, so sehr faszinierte mich dieser seltsame Gast.
Als er vom Buffet zurück kam, hatte er den Teller in seiner linken Hand lediglich mit einem halben Brötchen, einem Stück Butter und einer Scheibe Gouda beladen. In der Rechten hielt er ein großes Glas Mineralwasser. An seinem Tisch angekommen, benötigte er fast eine Minute, um Glas und Teller auf dem Tisch abzustellen und seinen massigen Körper auf dem Stuhl abzuladen.
Was war los mit dem Mann? Was hatte der?


Als er endlich Platz genommen hatte, belegte er seine Brötchenhälfte mit Butter und Käse. Die junge Hotelbedienstete kam zu seinem Tisch und schenkte ihm unaufgefordert eine Tasse Kaffee aus der kleinen Kanne ein. Sie schien ihn zu kennen, vielleicht war er schon länger hier zu Gast. Als er dann seinen Kaffee schlürfte und in sein Brötchen biss, fiel mir auf, dass der Walross-Schnäuzer ihm so weit über die Lippen reichte, dass er zwangläufig als Filter fungierte. Ich verbot mir sofort aufkeimende Gedanken über das, was sonst noch alles durch diesen Schnäuzer gelaufen sein könnte, etwa wenn der Mann erkältet war.
In diesem Moment erschien eine junge Frau, blond und gertenschlank, und gesellte sich zu ihm an den Tisch. Seine Tochter? Niemals! Sie stellte optisch das krasse Gegenteil zu ihm dar.
Aber sie begrüßte ihn freundlich, er nickte kurz, ohne auch nur eine Augenbraue zu verziehen. In dem Moment sprang mich eine musikalische Erinnerung an: Sie musste Lucy heißen, wie sie im Text eines alten Beatlessongs vorkam. Denn er hatte den Walross-Schnäuzer und in meinem Kopf sangen die Fab Four augenblicklich :

See how they fly like Lucy in the sky
see how they run
......
.........
I am the walrus
.........

Sie stand auf, ging zum Buffet, und brachte neben ihrem eigenen Teller auch ein Frühstücksei für ihn mit. Ich dachte, das gibt's doch gar nicht!

.........
I am the eggman
I am the walrus
g'goo goo g'joob
............

Was stimmte hier nicht? Stimmte mit mir etwas nicht? Was hatte ich für komische Assoziationen?

Auf seinem Tisch entdeckte ich einen weißen Medikamentendosierer, wie ich ihn von meiner Mutter kannte. Sieben Tage á vier Fächer. Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, dass er das zweite Fach von links mit bedächtigen Bewegungen in seine linke Hand leerte. Also hatte er heute bereits seine erste Ration Pillen intus, vielleicht direkt nach dem Aufstehen? Ich konnte nicht sehen, wie viele Tabletten die After-Breakfast-Portion bildeten. Er war also krank. Sehr krank.

Ich nannte ihn von da an George, weil auch George Harrison zeitweise einen dicken Schnäuzer getragen hatte. Diese Verbindung zu den Beatles würde mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens verfolgen. George und Lucy im Frühstücksraum der Pension Fegefeuer. HA! Welchen Stoff hatten sie mir heute morgen in den Kaffee getan? Ich beschloss, meine halbvolle Kaffeetasse stehen zu lassen und mir auf dem Zimmer noch eine Runde Schlaf zu gönnen. Heute war eh Ruhetag, danach wären die komischen Gedanken bestimmt verschwunden. Die Magical Mystery Tour wäre dann beendet.

Und wenn nicht? Dann wird die Geschichte fortgesetzt ...

Bei unserem kurzen zweistündigen Rundgang heute Nachmittag versenkte ich vier Euronen in diesem interessanten Kunstautomat, in dem man kleine Kunstwerke von einheimischen Künstlern erwerben konnte. Oder besser hätte können. Wenn das Ding funktioniert hätte. Es brauchte schon viele Versuche, bis der Automat auch die letzte der vier Münzen angenommen hatte - um anschließend weder die Kunst noch die Kohle auszuwerfen.
Ja, so ein Automat kann ganz schön hartnäckig sein. Trotz mehrerer harter körperlicher Verweise weigerte er sich strikt, irgendetwas raus zu rücken. Auch die nette junge Fotokünstlerin, die in der Halle ihre schönen Sachen ausstellte, hatte keinen Schlüssel zu dem Teil, dessen Besitzer lt. Kontaktaufschrift in Potsdam zu Hause ist. Jammerschade, dass alle vier Vorschlaghämmer bei meinem Bruder gelagert sind. Mit einem Bello hätte ich eine ganz kreative Variante von Spontankunst aus diesem Automaten hergestellt.


Der Kunst-Apparatschik
Die Bello-Apparatschiks





2 Kommentare:

  1. Hier scheint mir doch eine Richtigstellung angebracht...

    Die "Bello Apparatschicks" gehörten immer mir und ich habe jeden einzelnen von den Apparätern bezahlt und so gut versteckt, dass ich ihn nicht mehr wiederfinden konnte.

    Also davon bin ich jedenfalls immer ausgegangen, obwohl mir die Zahl vier (plus ein Gummihammer, nach Jahren wiederentdeckt) jetzt doch ein kleines bisschen hoch vorkommt.

    It's hammertime ;-)

    Dein Hämmer besitzendes Brüderlein

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  2. Soso, kleiner Sternenbruder, alle Viere in Deiner Hand? Wenn Du Dich da mal nicht verzählt hast!

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