Ein vergammelter Sonntag fing so schön an, mit lange Ausschlafen, noch dreimal rumdrehen, mittags gemütlich spätstücken, mit dem alten Kumpel chatten, Rekordzeit im SuDoKu aufstellen, hach! Dann schrie mich irgendwann nachmittags mein Schrittzähler an:
"Erst 378 Schritte! Sach mal, bist du bekloppt?
Gleich wird's dunkel. Sofort auf an die frische Luft!"
Da ich heute nicht wieder die Hausstrecke gehen wollte, setzte ich mich ins Auto und fuhr in Richtung meiner alten Heimat. Wer hat Lust, mit zu spazieren? Kumpel 1 liegt flach. Freundin ist woanders unterwegs. Kumpel 2 reagiert nicht auf meine WhatsApp. Dann kam mir eine meiner vielen blendenden Ideen 😎: Ab in die Vergangenheit! In ein Viertel, das früher mehrfach meine Heimat gewesen war, in meinen besten Zeiten *hüstel* sozusagen.
Schnell das Auto unter der Brücke abgestellt, und ab zum Ufer. Wenig später blickte ich vom Deich aus in die Straße meiner allerersten eigenen Wohnung. Damals (kurz nach dem Krieg 😉) eröffneten mein besagter Kumpel 2 und ich hier unsere erste "Raus von daheim!"-WG. Und dann stand ich davor - und viele Erinnerungen kamen hoch.
Blick vom Deich |
Blick von vorne |
Die Dachfenster erinnerten mich an die Brötchentüten, die mit einer Kordel nach oben gezogen wurden, wenn einer früher raus musste (meist mein Kumpel) und dem anderen den Weg über 4 Stockwerke und zurück bis zum Bäcker ersparen wollte. Denn leider war damals kein Aufzug vorhanden. Was auch den Transport der Waschmaschine beim Einzug nicht gerade vereinfachte.
Auf dem weiteren Weg dann die alte Stammkneipe an der Ecke, die heute ganz anders aussieht als früher.
Ein bisschen wehmütig dachte ich, dass die Biermarke Fohr Pils, die damals groß daran prangte, als Name völlig ausgereicht hatte, warum muss man daraus eine Balduinstube machen? Für uns hieß das eh nur "beim Siggi".
Weiter ging es zu den Wohnung Nr. 2 und 3, zwischen denen genau genommen 5,5 Jahre mit 4 anderen Wohnungen und 2 Notunterkünften lagen.
Wohnung Nr. 2 war nur ein großes Appartement in einem alten Herrenhaus, das der ortsansässigen Brauerei gehörte. Passte irgendwie. Auch hier war es eine wilde Zeit, an die ich zurückdenken musste.
Aus den beiden Fenstern ein Blick über den Fluss direkt auf die Altstadt. Passte auch. Aus dem zweiten Fenster von rechts im Erdgeschoss wurde manch eine Flasche Gerstensaft hinaus auf die Straße gereicht.
Ich sah sie wieder vor mir, die bunte Hausgemeinschaft aus dem Haus der Gestrandeten und Karin, die nette Hausverwalterin, zu der ich heute wieder Kontakt habe.
Wohnung Nr. 3 im Quartier, die also strenggenommen Wohnung Nr. 7 war, befand sich im zweiten Stock dieser Hütte und war eine 5-Personen-WG, in der ich mich wieder zusammen mit Kumpel 2 aus der 1. gemeinsamen Wohnung einfand.
Die hier vorhandenen Zusammensetzung der Insassen als "bunte Mischung" zu bezeichnen, wäre eine gnadenlose Untertreibung.
Allerdings war es uns nach etwa einem Jahr dann doch entschieden zu bunt und wir machten uns wieder gemeinsam auf den Weg zur nächsten Hütte in einem anderen Örtchen. Aber das ist auch eine andere Geschichte.
Was mir auffiel: Obwohl diese meine Zeiten erst 40 Jahre her sind, wohnt keiner der damaligen Mieter mehr dort. Auf allen Klingeln an den Häusern nur unbekannte Namen!
Auf dem Rückweg von dieser Zeitreise durfte ich bei Irmgard (93) Station machen und erlebte mit ihr, Katze Lissy und leckerem Gebäck Rückreisen in noch weiter zurückliegende Zeiten, interessant und sehr lustig, auch weil wir beide über uns selbst lachen können.
Auch ihr nächstes diffiziles Buntglaskunstwerk hat sie bereits in der Mache und ich bewundere sie sehr dafür, wie sie ihre große Kreativität auch im fortgeschrittenen Alter noch so toll auslebt. Ich wäre mit solchen Sachen hoffnungslos überfordert. Zudem bekam ich wieder 1a Tipps zur Familiengeschichte, die mir außer Irmgard heute keiner mehr geben kann.
Als wir irgendwann erschreckt feststellten, wie schnell die Zeit bei diesem kurzweiligen Besuch gerast ist (und dass ich bei der Schale mit dem Gebäck keine Gefangenen gemacht hatte), wurde es Zeit für den Heimweg. Nach dem anfänglich holprigen Tag, als ich niemanden erreicht hatte, bewahrheitete sich für mich einmal wieder, dass am Ende doch alles einen Sinn ergibt. Und auch: Es kommt immer drauf an, was man daraus macht.
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