18 Juni 2021

Anleitungen fürs Leben. Diesmal: Digitale Auszeit


Eine Woche mag es her sein, da spazierte ich mit meinem Brüderlein durch das Brohltal, um die Überreste des Eulenhofs zu suchen, Hatte der "alte " Eulenhof bereits im siebenjährigen Krieg sehr gelitten und war 1786 faktisch nicht mehr existent, sind im "neuen" Eulenhof ab 1812 wieder Pächter verzeichnet. Irgendwer muss das zwischendrin, also etwa in napoleonischer Zeit, wieder aufgebaut haben. Anfang der 1970er Jahre ging dieser neue Hof, mittlerweile verlassen und heruntergekommen, unter ungeklärten Umständen in Flammen auf.
Leider gelang es uns nicht, diesen geschichtsträchtigen Ort und seine Mauerreste, die es vielleicht gar nicht mehr gibt, ausfindig zu machen. Trotzdem war es ein schöner kleiner Spaziergang. wir sahen die Trasshöhlen am Brohler Hang, die kleine versteckte Fischräucherei und kamen auf dem Rückweg zum Auto an einem weiteren interessanten Objekt vorbei: Dem Jägerheim.

Das alte Jägerheim unter dem Viadukt der Brohltalbahn

Das Gasthaus Jägerheim unterhalb des Brohltal-Viadukts war früher ein Mühlenbetrieb, dessen Trass-Mühlen vom Wasser des Brohlbachs angetrieben wurden. Seit 1912 wird es als Gastronomie genutzt und hatte sich eine sehr guten Ruf als Ausflugslokal mit gutem Essen erworben. In 2015 schloss die letzte Pächterfamilie die Pforten. Es fanden sich engagierte Käufer, die nach Sanierung und Umbau in 2017 mit verändertem Konzept als Gästehaus wieder eröffneten, was gut angenommen wurde. Und dann kam Corona.

Wir standen also vor verschlossenen Türen, an denen jedoch einige Hinweise angebracht waren, dass es bald weitergehen wird. Außerdem die fabelhafte Tafel <Gastronomen gegen Rassismus>, nach der ich dieses idyllische Fleckchen erst recht in mein Herz geschlossen hatte. So wurde unser Spaziergang auch ohne Eulenhof ne runde Sache.

Zuhause ging mir das Jägerheim nicht mehr aus dem Kopf. Ich wollte wissen, was das Besitzerehepaar nach der Neueröffnung planen und konnte die Frau anhand ihres namens im Internet ausfindig machen und schrieb sie einfach mal an. Vorgestern kam die freundliche Antwort. Das neue Konzept ist kurz vor der Veröffentlichung und soviel konnte sie mir schon sagen. Es wird ein Refugium für digitale Auszeiten. Sofort stellte ich mir vor, 3 Tage dort zu verbringen, ohne Handy, Telefon, Internet und sonstigem Spökes. Mit Wanderungen durch die schöne Gegend rundherum, wo es so viel zu sehen gibt. Wie mir das wohl bekommen würde? Ich denke, gut.

Zeitsprung

Heute mittag parkte ich das Auto in der Andernacher Tiefgarage, um mit meinem Freund und Ex-Kollegen die Tradition unseres Freitag-Mittag-toten-Fisch-Essens bei Kerstin wieder aufleben zu lassen.. Der Tisch war reserviert, das Essen köstlich, der Espresso Macchiato danach göttlich, also alles so wie vor der Corona-Zeit. Was heute anders war: Ich hatte mein Handy im Auto vergessen. Schon als ich das am Tisch bemerkte, durchzog mich der Reflex, sofort in die Tiefgarage zu gehen und das lebenswichtige Teil zu holen. Ich dachte an die digitale Auszeit im Jägerheim und ärgerte mich über mich selbst. Wie soll ich 3 Tage ohne alles durchstehen, wenn mir schon eine Stunde Mittagspause ohne Handy Unwohlsein bereitet. Nein! "Ich nehme schon mal ne Vorschau auf die digitale Auszeit!" sagte ich zu meinem Kollegen, dem ich vorher von der Jägerheimgeschichte erzählt hatte. Einfach schonmal üben. Eine Vorstellung, die uns beide schmunzeln ließ
Die Stunde ohne Handy machte mir natürlich nichts aus, aber mein Smartphone nahm das leider allzu wörtlich und nutzte die Stunde Auszeit allein im Auto in der kühlen Tiefgarage, um die eigene Demontage zu beginnen. Als ich später zu Hause war, ging es von selbst aus und ließ sich auch trotz vielfältiger Versuche nicht mehr zum ordentlichen Betrieb überreden.
Zuerst erkannte es die SIM-Karte nicht mehr.
Ok, rausgeholt, Kontakte saubergemacht, wieder rein - klappt nicht.
SIM-Karte in den 2.Slot gesteckt - klappt nicht.
SIM-Karte ganz rausgeholt - Handy geht gar nicht mehr an
Obwohl ich nach einer zweistündigen Augenpflege ausgeruht und gut drauf war, wurde ich langsam nervös. Wie gut, dass ich mein altes Handy noch hab, das neue hab ich erst vor anderthalb Wochen in Betrieb genommen. Oha, genau an dem Tag, als ich vor dem Jägerheim stand. Das mit den digitalen Auszeiten.
Altes Handy angemacht - geht nicht, Akku leer. Akku geladen.
SIM- und Speicherkarte reingemacht - keine SIM-Karte erkannt.
SIM-Karte in den anderen Slot gesteckt - keine SIM-Karte erkannt.
SIM-Karte rausgemacht - Handy geht gar nicht mehr an.
Altes Handy auch kaputt? Universum, was willst Du mir damit sagen?

Forum für das neue Handy im Internet aufgesucht.
Support --> was tu ich in so einem Fall?
Support: Aufschrauben, prüfen, ob Connector abgegangen ist.
Mit Mini-Torx-Schraubendreher 13 Mini-Mini-Schrauben gelöst.
Versucht, das Display abzulösen - geht nicht, oder nur mit Gewalt. Nein.
Alle Mini-Mini-Schräublein wieder reingedreht.
Eine springt mir aus den klobigen Griffeln.
Fällt auf den Schreibtisch.
Schwarze Mini-Mini-Schraube auf schwarzem Schreibtisch - lost forever
Ich treffe eine Entscheidung: Rücksendeformular aus dem Internet ausgefüllt und gedruckt. Handy eingepackt - geht morgen zurück.
Und ich hab solange eine Handy und WhatsApp-Auszeit. Wollt ich doch auch, oder?

Bleibt nur die Frage, wie hängt das Eine mit dem Anderen zusammen? Irgendwie.

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Kleine Ergänzung: 10 Minuten, nachdem ich diesen blog-Bericht geschrieben hatte, ließ sich mein altes Handy wieder einschalten, hochfahren und erkannte die SIM-Karte. Es funktioniert seitdem wieder.
Das neue Handy habe ich heute morgen auf den Postweg zum Hersteller geschickt.
Was lerne ich daraus: Mit Gewalt geht nix. Man muss irgendwann loslassen, danach findet das Universum meistens eine passable Lösung.

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