Auf dem Weg zur heutigen Verabredung konnte ich den alten Westernhagen-Song nicht mehr aus dem Kopf verbannen, wollte ich ja auch nicht wirklich. Und so gab ich mich im Auto dem schönen Klassiker hin und grölte lauthals mit:
Ich bin wieder hier
In meinem Revier
War nie wirklich weg
Hab mich nur versteckt
Ich rieche den Dreck
Ich atme tief ein
Und dann bin ich mir sicher
Wieder zu Hause zu sein
Wie lange hatte ich mir diese meine alten Wirkungsstätten nicht mehr mit nostalgischen Augen angesehen? Lang lang ist's her. Auch deshalb freute ich mich, dass meine alte Schreibkursfreundin Veronika mich gefragt hatte, ob ich ihr nicht mal eine Führung durch das Quartier bieten möchte, dass seit etwas einem Jahr auch ihre Wohnheimat ist. Wie mochte es dort heute aussehen, wo ich vor vierzig Jahren mit meinem Kumpel Franz zusammen die erste eigene Wohnung bezogen hatte? Und was war aus dem Haus der Gestrandeten geworden, in dem ein gewisser Mike Neuhaus sein Unwesen trieb? Gab es das Haus noch, in dessen 2.Stock eine legendäre verstrahlte WG ihren Platz gefunden hatte? Fragen über Fragen, die mir ein seliges Lächeln aufs Gesicht zauberten. Ebenso wie die liebe Veronika, mit der ich mich an der Sparkasse verabredet hatte.
Und los ging die Tour. Erstmal um die Ecke zur - halt! In dem Eckhaus war doch die alte Stammkneipe, Siggis Kaschemme, in der sich abends die einheimischen Jungs zum Tischfussball um Bierrunden einfanden, und wo spät abends die Mädels aus dem Rotlichtmilieu nach der Schicht noch ein Eierlikörchen schlabberten. Oder auch drei.
Heute eine modernisierte Eventgastronomie, jedenfalls sieht sie von außen schon so aus, dass ich gar nicht versuche zu verstehen, was daran so schön sein soll. Wie aus dem Ei gepellt sieht es aus, der ganze schöne schmuddelige Charme ist weg, den der Mau sich in Jahren hart erarbeitet hatte. Schnell weiter, direkt um die ecke dann der Schock: Die Burschenschaft gibt es immer noch, dieser verpönte Haufen, den ich schon damals nicht abkonnte, hat ein tolles Schild an der frisch renovierten Fassade. Scheiss drauf, weiter um die Ecke ist es endlich da, das Haus der Gestrandeten. Von außen noch keine großen Unterschiede zu erkennen, aber Veronika bemerkt als erste, dass das ehemalige Zimmer des Altstadtkellners neben meinem "Apartment" - dieses Wort kannten wir damals noch gar nicht - nun eine Art Balkon nach innen hat. Ein kleiner Außenbereich hinter der offenen Fassade, Und dann entdeckt sie auch die Tür von dort nach meinem Apartment zu - man hat aus diesen 2 Zimmern eine Wohnung gemacht, mit Innenbalkon. Ok, ist auch besser als diese klitzekleinen Verließe, in denen wir damals hausten.
Am Ende der kurzen Sackgasse - ist es nun gar keine Sackgasse mehr. Das Kasernentor, dass die Straße damals beendete, ist weg, mitsamt der Kaserne. Dafür stehen dort moderne Neubauten mit Moselblick. Ich bin hin- und hergerissen. Schöner ist das heute, viel schöner - aber nicht mehr das, was ich mal kannte! Wenigstens scheint die kleine Kneipe des Getränkevertriebs vor dem Kasernentor noch unverändert. Sogar der gleiche Namen auf dem Briefkasten wie damals. Chapeau! Allerdings sieht das ganze Ensemble ziemlich unbelebt aus. Ein alter Herr sitzt hinter der gläsernen Kneipentür, schaut kurz nach draußen, und dann wieder rein. Ende.
Wir spazieren um die Ecke zur nächsten Memorial-Stätte. Das Haus mit der WG. Aus dem 2.Stock mit Fenster zur Straße konnte man aus einem WG-Zimmer Bierflaschen auf den Bürgersteig donnern. Wenn wieder einmal die Bullizei im Anmarsch war wg. nächtlicher Ruhestörung, konnte sich man von dort oben ganz gut verteidigen.
Auf den Klingeln kein Name mehr, der mir igendetwas sagt, aber den Hinterhof erkenne ich wieder. Hier landeten die Restmöbel eines Mitbewohners nach dem Auszug, als er sich geweigert hatte, pünktlich seine Bude KOMPLETT geräumt zu haben. Da mussten wir ihm in der Nacht vom 31. auf den 1. zeigen, was KOMPLETT geräumt heißt. HA!
Durch den Lützelhof ging es dann rüber zum Standort meiner alten Firma, direkt neben der Metzgerei. Beides gibt es noch, die Metzgerei mit der gleichen Besitzerfamilie, und die IT-Firma, die mein Kompagnon dann alleine weiter geführt hat. Hilfe, das ist auch schon zwanzig Jahre her!
Weiter ging es in eine Ecke, die Veronika noch gar nicht gesehen hatte. Hin zur allerersten Wohnung, damals, vor vierzig Jahren. Vierter Stock ohne Aufzug. Im Fenster des unteren Halbgeschosses taucht vor meinem geistigen Auge wieder der einarmige Bandit auf, wie wir ihn damals liebevoll nannten, den einarmigen netten Rentner, der immer rauchend an diesem Fenster stand und freundlich grüßte. Erinerungen an den Umzug werden wach. Vierter Stock. Letzter Akt. Die Waschmaschine. Klein, kompakt, aber anscheinend mit Blei ausgegossen. Im dritten Stock geht bei meinem Kumpel dann nix mehr. "Aus. Ende, Lass sie stehen. Mir egal. Ich sterbe." Natürlich wollte ich dann beweisen, was noch geht. Komm Junge, wir laden mir das Teil auf den Buckel. Zack. Ich dann mit dem Teil alleine die letzte Etage hoch. Gut, dass mien Kumpel direkt mitkam, ich hätte die Maschine allein nicht mehr abladen können. Danach fiel ich zwei Tage ins Koma, glaube ich. Brotlose Künste, wenn man ein starker Kerl sein wollte.
Am Ende der Straße stimmt nix mehr. Die Bäckerei auf der einen Ecke ist weg. Der Kiosk auf der anderen Ecke ist ein Haus weiter um die Ecke gewandert. Mein altes Revier hat sich verändert. Ich auch. Und dann noch der schöne Moment, als Veronika die Katze im Fenster entdeckt. Sehr schön.
Cat's in the cradle |
Sie binzelt uns an, müde und zufrieden sieht sie aus in ihrem Logenplatz. Und ich fange in Gedanken an zu singen:
Ein sehr schöner Song von Harry Chapin und auch später in der Version von Ugly Kid Joe.
Auf dem Rückweg von dieser letzten Station stehen wir dann einem Haus, das komplett aus dem Rahmen fällt, gestaltungstechnisch. Oh mein Gott, klar, der Bruder meines alten Kumpels wohnt ja hier, seiner Frau gehört die Bude. Ich blinzele mal in den Hof, wo seine Mutter ihr kleines Domizil hat, aber nirgends ein Lebenszeichen zu entdecken, wir gehen weiter. Richtung Veronikas Wohnung, Richtung Kaffee und Kuchen. Nachdem ich sie während unseres ganzen Spaziergangs wahrscheinlich halb ins Koma geredet hab, setze ich das in der Wohnung fort. Zum Schluss muss sie sich noch eine kleine Lesung eines kleinen Textes über einen gewissen Mike Neuhaus anhören, Privatlesung sozusagen, dann ist sie erlöst. Ich muss mich verabschieden, mein Bruder und ich haben einen Termin mit unserem Steuer-Frankie.
Schöne Tage wie diesen habe ich letzter Zeit oft erlebt, und ich hoffe, dass noch viele folgen werden.
Lieber Manni, vielen Dank für die interessante Lützel-Begehung mit den vielen ereignisreichen Geschichten, auch nach einem Jahr hier konnte ich noch viel neues erfahren. Und auch die Privatlesung bei Kaffee und Kuchen ist sehr gut angekommen, gerne wieder!;-)
AntwortenLöschenLiebe Veronika,
Löschendas freut mich sehr zu hören. Als Nächstes hätte ich im Angebot: "Winterspaziergang im neuen Revier (Krahnenberg?) mit anschließendem Kaffeekränzchen und Fortsetzung der Privatlesung :-)