Unsere gestrige Frischluftrunde führte uns ausnahmsweise auf die andere Rheinseite, die "schääl Säit", wie wir sie im heimischen Jargon abwertend nannten. Und dies geschah nicht zufällig, aber dafür freiwillig.
Mein Brüderchen hatte mir von einem Gang durch Bendorf erzählt, der auch bei ihm Erinnerungen geweckt hatte. Sofort schossen mir Erinnerungsbilder durch den Kopf, hatte ich doch in meiner Jugend acht Jahre am dortigen Gymnasium verbracht, mein kleiner Bruder später sogar noch eins mehr, denn er hatte tatsächlich bis zum Abi durchgehalten. Und der Kleine willigte sofort ein, unseren heutigen Spaziergang zu meinen alten Stätten voller Freude und Qual zu verlegen.
Angefangen hat alles 1967 mit 2 Klassen in einem alten Backsteinbau, das war der Start des neuen Gymnasiums, "Staatliches Neusprachliches und Mathematisch-Naturwissenschaftliches Gymnasium Bendorf ", anfangs noch eine "Außenstelle" des Max-von.Laue-Gymis in Koblenz. Ich gehörte zu den ersten beiden Klassen, die starten durften, habe dafür extra noch ein fünftes Jahr in der "Volksschule" drangehängt, um pünktlich zum Start hierhin zu kommen. Na gut, meine Eltern haben das für mich arrangiert, ich kann mich nicht erinnern, gefragt worden zu sein. Aber das ist ja auch schon lange her. 1967! Mehr als fünfzig Jahre.
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Der rote Backsteinbau in der Engerser Straße |
Als wir mit der Sexta b im ersten Stock rechts dieses altehrwürdigen Gebäudes begannen, touchte Tom Jones gerade das Green, Green Grass of Home und die Monkees trällerten "Then I saw her face - now I'm a believer!", wobei für mich als Zehnjähriger auch noch Heino die Stürme liebte und Ricky Shayne alle Ketten sprengte.
Zwei Jahre verbrachten wir hier, das Lädchen vom alten Ziebart in der nächsten Seitenstraße bot uns alles, was wir brauchten. Kaugummi, Eis am Stiel und Kamellen. Mit mittlerweile 4 Klassen war das Haus voll, zum nächsten Schuljahr konnte hier keiner mehr aufgenommen werden.
Wir zogen um, allerdings war der Neubau noch lange nicht fertig, in den wir alle einmal kommen sollten. So ging es erstmal drei Straßen weiter ins Städtchen an den Kirchplatz, in den nächsten Backsteinbau.
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Die Backsteine im Haus links sind heute vom Putz verdeckt |
Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, zogen hier erstmal nur die "älteren" Jahrgänge ein, mittlerweile war ich in der Quarta angekommen. 1969. Meine Abkehr vom deutschen Schlager hin zu englischem Pop war schon weiter fortgeschritten. Dank der Möglichkeit, bei den Nachbarn Platten zu hören (bei uns wäre sowas Modernes wie ein Plattenspieler nie ins Haus gekommen!) kam ich in den Genuss von Barry Ryans Eloise und ließ mich von Zager&Evans gerne ins Jahr 2525 versetzen. Ich verstand nicht viel vom Text, aber die Musik fühlte sich melancholisch schön an. In diesen zwei Jahren vollzog sich dann auch langsam die Hinwendung zum anderen Geschlecht und die ersten Bierchen begannen zu schmecken. Und vor den Außentoiletten hinter dem Haus hat damals eine Mitschülerin - lassen wird das lieber.
Zum Sportunterricht mussten wir mangels eigener Turnhalle immer noch zur städtischen Halle laufen.
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Die städtische Halle im Hintergrund |
Der Parkplatz davor war damals ein Schotter-Sportplatz mit Weitsprunggrube an der Seite, hier scheuchte uns der Dracz unerbittlich über die Prärie.
Viel interessanter war dort allerdings die Kneipe gegenüber, der Niederhof, in den ich mich aber mit 13 noch nicht reintraute,
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Der Niederhof, damals noch zu früh |
Dass sich Jahre später der ältere Sohn der Pächter in meine Klasse auf den Platz neben mich verirren sollte, war ein guter Ausgleich für die entgangene Bierkultur.
Irgendwie sieht doch alles ganz anders aus als früher, dachte ich, und gleichzeitig kommt etwas von dem alten Gefühl wieder hoch, dass ich damals an diesen Orten empfand.
1971 war es dann soweit: Der Einzug in den Neubau am Lohweg! Musikalisch waren längst die unglaublichen C.C.R. meine Helden, auch wenn das rausgebrüllte Hey Tonight der wunderschönen B-Seite Have you ever seen the Rain nie das Wasser reichen konnte. Mit 14 hörte man Deep Purple & Co., und zuzugegeben, dass einem Peter Alexanders Hier ist ein Mensch wirklich gut gefiel, wäre einem gesellschaftlichen Selbstmord gleichgekommen.
Auf dem Fußweg zum Neubau verlor ich fast ein wenig die Orientierung, doch spätestens, als wir am Lädchen vorbeikamen, dass natürlich schon lange kein Lädchen mehr ist, war ich wieder hier daheim.
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Ed Lädsche |
Und ein paar Meter weiter blutete mir das Herz, als ich sah, was aus der ehemaligen Eckkneipe Oberhof geworden war. Der schöne Eingang mit den Treppen auf der Ecke ist zugemauert! Dafür gibt es einen Seiteneingang, an dem mit irgendwelchen Provisorien ein Wind- und Wetterschutz zusammengefrickelt ist.
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Seht nur, der Oberhof ist zugemauert! |
Als meine Tränen langsam nachließen, gingen wir die letzten Meter bis zur "neuen" Schule hoch, die in diesem Jahr 50 Jahre steht. Die Parkplätze sind anders angeordnet, der Bau wurde um einige Anbauten nach hinten erweitert. Kurz gesagt: Alles anders!
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Der Neubau |
Hier begann damals mein Anfang vom Ende. Direkt im ersten Jahr im Neubau eine Ehrenrunde gedreht, und 1975 nach der erneuten Nichtversetzung legte man mir dann eindringlich nahe, diese heiligen Hallen nach der 11 zu verlassen. Immerhin, das erste Jahr der neuen MSS (Mainzer Studienstufe) hatte ich noch miterleben dürfen. Ein Kurssystem, damit man sich beim Studieren nicht mehr umgewöhnen muss. Studiert hatte ich in den letzten Jahren mehr im Oberhof als in der Schule, ich erinnere mich an viele vergnügte Stunden.
Und so ging ein melancholisch-schöner Ausflug in die eigene Vergangenheit zu Ende. Mit lecker Kaffee und Teilchen ließen sich daheim im Warmen die Erinnerungen gut verarbeiten.