AUUUUSS AUUUSSS AUUUSSSSS es ist AUUUUSSSSSS !
Das liest sich so im unbeschreiblichen Blog der 11Freunde (Auszug):
20:03 Uhr
Bild.de kürzt Hummels in der
Aufstellung als »Humme« und Khedira mit »Khedi« ab. Klingt
freundschaftlich. Find ich toll. Ihr dürft mich »Giese« nennen.
Gern auch »alte Säge«.23:23 Uhr
20:10 Uhr
TOOOOOR!!! TOOOOOOOOR FÜR
DEUTSCHLAND!!!! TOOOOOR ÖZIL!!! Ach, wenn es doch nur schon so weit
wäre. Es ist aber nur: Kollege Gieselmann beim Gute-Nacht-Telefonat
mit seinem Sohn (1). Schöne Träume.
20:11 Uhr
Dicke Frauen im Bundestag. Müssen
diese Bilder jetzt wirklich sein? Im italienischen Fernsehen werden
derweil Gladiatoren gezeigt, die mit bloßen Händen Krokodile
erwürgen. Jetzt kriege ich doch Angst. Vor dicken Frauen im
Bundestag.
20:12 Uhr
Poldi SPIELT. Hab ich's nicht gesagt?
Hab ich's nicht gesagt? Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas
Podolski! Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski! Sehr,
sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski! Sehr, sehr positiv.
AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski! Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der
Lukas Podolski! Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski!
Sehr, sehr positiv. AUUUUUUUU! Der Lukas Podolski!
20:14 Uhr
Azurblauer Himmel morgen über
Deutschland. 33 Grad, Rimini-Wetter in Recklinghausen. Und die
Tagesthemen moderiert Ingo Zamperoni. Mir wird irgendwie komisch
zumute. Angst? Noch nicht.
20:15 Uhr
Die Tagesschau läuft. Ich bin viel zu
aufgeregt, um genau hinzuhören, bekomme aber gleich zweimal die
Phrase mit: Augen zu und durch! Hm. Ob wir das unterschreiben
sollten? Jetzt nicht in Bezug aufs Betreuungsgeld, sondern auf einen
deutschen Sieg? Einfach durch irgendwie? Notfalls auch rumpelig? Ich
habe ja tatsächlich die Hoffnung auf ein schönes, ein
berauschendes, von mir aus sogar ein sensationelles Fußballspiel,
auch wenn mir Kloppo Sensationen eigentlich grundsätzlich madig
gemacht hat. Andererseits beginnt dieses Spiel mit Reinhold Beckmann,
kann also gar nicht mehr sooooo super werden. Ach, was soll’s?
Augen zu und durch!
20:18 Uhr
Offenbar spielt Pocahontas, jedenfalls
macht sich eine kleine Indianerin mit Stirnband und sibyllinischem
Blick dort unten warm. Aus der gegnerischen Hälfte linst ein alter
Häuptling lüstern zu ihr herüber, »Chippender Fuß« mit Namen,
will sie in sein Wigwam zerren. Stamm gegen Stamm. Das Kriegsball ist
ausgegraben. Wer gewinnetout?
20:23 Uhr
»Der Bundestrainer denkt weiter als
ich«, kapituliert Mehmet Scholl. Durchaus sympathisch, dass er das
so zugeben mag. Aber es entzieht der ganzen Veranstaltung die
Grundlage. Scholl und Beckmann: Zwei Druiden, die im
Asterix-Themenpark in Hühnerknochen aus Plastik lesen. Und sich
gleich die Kostüme ausziehen und in ihren Sharans nach Hause fahren.
Entzaubernd.
20:29 Uhr
Man müsste mal bilanzieren, wie es den
Spielern so ergangen ist, die das Schicksal ereilt hat, von Sven
Kaulbarß porträtiert zu werden. Jetzt der arme Khedira, für den
die EM damit gelaufen sein dürfte. Softporno-Stimme,
DB-Magazin-Poesie, Chillout-Musik: Das muss ihnen doch schaden. Die
Voodoo-Puppe unter den Einspielern.
20:30 Uhr
Löw. Seltsam rot. Hat er sich verjoggt
und sich das Nivea-Face angebrannt? Gespenstisch. Dann sagt er: »In
dieser Kotze-Phase trinken die Spieler was.« Nachdurst? Jetzt? Ich
brech' zusammen.
20:35 Uhr
Es wird kribbeliger. »Schluss jetzt
mit dem Gequatsche«, kokettiert Mehmet Scholl. Und normalerweise
würden wir ihm ja auch recht geben. Aber heute: Wenn er aufhört zu
quatschen, fängt Steffen Simon an. Ehrlich wahr, liebe Fans. Sowas
machen die, mit euren Gebühren. Und wer protestiert dagegen? Ich!!!
Und wer hört mich? Hallo? Haalllloooooo?
20:36 Uhr
Wenn ich das richtig gesehen habe, ist
hier vorm Haus gerade ein Mann mit Federballschlägern auf dem
Gepäckträger vorbei geradelt. Irgendwie frei. Irgendwie aber auch
affig. Ich stehe vor einem Rätsel: Wie kann jemand so sympathisch
und zugleich so unsympathisch sein? Das heißt im Umkehrschluss, dass
ich der Mann, der ich bin und der hier gerade für Deutschland
fiebert, nicht sein will. Identitätskrise! Das jetzt. JETZT habe ich
Angst. German Angst.
20:40 Uhr
Die Hymnen. Kurzes Vorspiel, dann,
zack, 1:0 für Italien. Sorry, liebe Fans, aber ist so. Eigentlich
sogar 2:0, wegen der Hingabe Luigi Buffons, die Augen geschlossen und
einen Mund, der aussieht, als würde er gerade noch mal all die
Leibspeisen nachschmecken, die niemand so gut kocht wie seine Mama.
3:0, verdammt.
20:41 Uhr
BRÜHT IM LICHTE DIESES GLÜCKES!
JETZT!
20:44 Uhr
Philipp Lahm trägt noch schnell ein
selbstgeschriebenes Gedicht aus seinem demnächst erscheinenden
Lyrikband (»Der feinste Unterschied«) vor, dann geht es los.
20:45 Uhr
WIR HABEN DIE SEITENWAHL GEWONNEN! DER
ERSTE SIEG GEGEN ITALIEN BEI EINEM GROSSEN TURNIER! JAAAAAAAAA!
FIPSI, DU BIST EIN MÜNZWURFGOTT!
1.
ANSTOSS! MEINE UMSCHALTTASTE KLEMMT!
ABER DAS ENTSPRICHT MEINEM KÖRPERLICHEN UND EMOTIONALEN ZUSTAND! ICH
BITTE UM VERSTÄNDNIS!
3.
Erster Schockmoment: Für einen
klitzekleinen Augenblick dachte ich, statt Holger Badstuber spiele
heute Oliver Pocher in der deutschen Innenverteidigung. Warum müssen
die auch alle zum gleichen Friseur rennen?
4.
Brenzlig. Ein hassenswertes Adjektiv,
zumal wenn es einen selbst betrifft. Stinkt nach im Aschenbecher
vergessener Kippe. Stinkt nach Chance für Italien. Doch Hummels
löscht. Wenn ich groß bin, will ich auch Feuerwehrmann werden.
5.
Özil mit Chipball auf, ja auf wen, auf
Podolski wohl, eventuell auch auf eine tieffliegende Schwalbe, die
ich nicht sehen konnte. Andrea Pirlo jedenfalls dreht sich
verächtlich ab.
6.
JAAAAAA! EIN TOR! FAST! Gestocher! Als
wäre der italienische Strafraum Ottfried Fischers Mund nach der
Brotzeit! Der Ball trudelt in Richtung Kasten, Stunden des Hoffens –
dann Pirlo AUF DER LINIE! Der namenlose Torrichter schlottert, zuckt,
bricht zusammen, Pirlo klärt, ich schlottere, zucke, breche
zusammen. Zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.
7.
Mann bin ich aufgeregt. Auch bzw. au
deswegen, weil ich ja genau davor Schiss hatte: dass der Ball Buffon
zwar durch die Beine fliegt, er ihn aber trotzdem mit völliger
Gelassenheit noch abfängt und nicht halb so aufgeregt ist wie ich.
Dafür bin ich aus genau diesem Grund nicht ein Zehntel so anfällig
für Spielsucht.
8.
Kroos bewacht also Pirlo. Das ist edel.
Gefällt mir enorm, dass wir einen unserer Besten für diese niedere
Arbeit abstellen. Als würde Peter Handke unsere Einträge hier
gegenlesen. Mach mal 'n Kaffee, Peter.
10.
Was hat dieses Spiel mit gewissen
Erwachsenenfilmen gemeinsam? Das ist mir hinten alles zu offen.
12.
Da, da, da! Genau das gleich, es ist
wie in meinen Alpträumen, die ich heute den ganzen Tag hatte.
Khedria joggt durch die italienischen Reihen als wäre er eben das,
ein Jogger, bleibt deswegen unbehelligt, passt auf Boateng, der senst
ihn rein, keiner kommt ran, aber Buffon lässt den Ball wieder los,
lässt ihn zu einem Italiener prallen, und von dort kullert er
Zentimeter am Pfosten dabei. Es ist das pure italienische Glück,
dass es hier noch 0:0 steht und gleichzeitig so absolut typisch.
13.
Wer ist Pirlo? Kroos! Ganz kroos bzw.
groß: Karl-Allgöwer-Gedächtnishammer, Buffons Maniküre war für
die Katz. Lässt der schönste letzte Mann der Welt sich jetzt
resigniert auswechseln?
16.
Bonuskarte im Kommentatoren-Bingo:
»Prandelli ist so etwas wie der Jogi Löw Italiens.«
17.
Ich fühle mich gut, sehr gut, ja: Ich
habe gerade überhaupt keine Angst mehr. Doch dann sagt Simon: »Es
lässt sich gut an, was das junge deutsche Team hier veranstaltet.«
Ein Satz wie im Pfadfinderlager am Steinhuder Meer. Kleinkariert,
strebsam, demütig – und also doch wieder eine Angst verratend, auf
die ich ÜBERHAUPT KEINEN BOCK HABE, STEFFEN! STEFFEN! WIE DER SCHON
HEISST! FÄHNLEIN FIESELSTEFFEN! Ach, komm. Geh Holz sammeln.
18.
Erste Chance für Italien, Neuer hält,
Gott sei Dank, denn geschossen hatte Montolivo, der mit der deutschen
Mutter. Und was ich zusätzlich zu einem italienischen Tor am
wenigsten brauchen könnte, wäre eine Lawine von »ausgrechnet«,
die über die deutsche Medienlandschaft hereinbricht.
19.
Und noch so'n Weitschuss der Italiener.
»Die Weitschüsse sind nicht ohne«, so Simon. Dabei hatte ich doch
deutlich gesagt: EINMAL WEITSCHUSS OHNE ALLES, BITTE! Verdammt.
19.
Wir müssen jetzt ganz stark sein. 1:0.
Nicht für uns. Cassano flankt, Badstuber macht nichts falsch und
doch irgendwie alles, Balotelli steigt hoch, köpft, Neuer macht das
X, vergeblich. Ein Satz mit X: Wir müssen jetzt auferstehen wie
Phönix.
22.
Jetzt bräuchte es jemanden wie früher
in der Kreisligamannschaft, der erst mal auf den Ball tritt und
»Ruuuuuuuuuhig« sagt. In einem Ton, als wäre seine Mitspieler
Pferde. Und sie senken die Köpfe und tun, was er sagt. Das Spiel
beruhigt sich. 1:0? Was ist das schon? Aber es gibt diesen Mann nicht
im deutschen Spiel, jedenfalls nicht jetzt. Also sagt Simon: »Es ist
noch früh.« Und zum ersten Mal mag ich ihn irgendwie. So weit ist
es gekommen.
25.
Boateng. Ideenlos nach vorn. Aber Ideen
sind überschätzt, wie ich immer schon geahnt habe, und tatsächlich
kommt der geile Zufall ins Spiel, ein Italiener strauchelt, Gomez
brustet den Ball rüber zu Özil, der schießt, doch so schlaff, dass
Buffon sich hinlegen kann wie eine Greisin des Nachts, die auf dem
Nachttisch nach dem Glas für ihre Dritten fingert. Zahnlos.
28.
Uncool: Gomez, der einen Einwurf
beinahe direkt einem Italiener in den Lauf köpft und sich damit
genau so verhält, wie ich mich fühle.
28.
Und bei euch so?
30.
Von Toni Kroos heißt es ja immer, er
habe eine »super Schusstechnik«, einen »echten Hammer«, »eine
Waffe« etc. pp. Aber mal ganz ehrlich: Könnte er diese Waffe nicht
endlich mal mit scharfer Munition austatten und sie auch mal
einsetzen? Jetzt zum Beispiel? Wäre ein guter Zeitpunkt!
31.
Khedira jetzt mit dem Powersprint nach
vorn. Sieht aber aus wie einer, der durch eine Italo-Disco rennen
will, überall tanzende, flippende, irgendwie aufdringliche Typen.
Ausgehen ist auch nicht mehr das, was es mal war. Ich krieg irgendwie
Bock auf 'nen Videoabend.
33.
Chance! Ecke! Ja! Und was noch viel
wichtiger ist: Poldi drückt Balotelli auf den Rasen, recht so,
Poldi. Das hier muss ein Krieg werden. Zwei, drei, viele Poldis!
35.
Okay, okay, ich habe mir ein super
Spiel gewünscht, aber vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt:
Ich wünsche mir kein super Spiel für neutrale Zuschauer, die sich
dran begeistern können, dass es hier hin und her geht, wie jetzt
gerade, sondern ein super deutsches Spiel, in dem es nur Richtung
Buffon geht.
36.
2:0. Mehr dazu morgen in der
Fachpresse.
36.
Es hilft ja nichts, dann »wollen« wir
mal, verdammte Chronistenpflicht. Irgendein – natürlich –
gelöffelter Pass, vermutlich von Montolivo, Lahm müsste einen Meter
größer sein, ungefähr 1,80, um mit dem Kopf noch dran zu kommen,
keine Chance, Balotelli hat drei Jahre Zeit, sich den Ball
zurechtzulegen, mit ihm zu sprechen, ihm zu erklären, was er gleich
mit ihm vorhat, nämlich ihn GNADENLOS in die Maschen zu hämmern.
Neuer sieht einen weißen Kondensstreifen am Himmel über Warschau.
Der sich nun verdunkelt. Kann auch sein, dass es mein Gemüt ist.
Wann wird's mal wieder richtig Sommer? Scheißfrage, jetzt, im
Herbst, wenn die Hoffnungen mit verneinender Gebärde fallen.
38.
Ein weiterer Grund, warum es das jetzt
aber gewesen sein sollte mit italienischen Angriffen: Bei jeder
Chance gibt meine Frau Geräusche von sich, die ich zuletzt im
Kreißsaal von ihr gehört habe. Also Jungs: PRESSEN!!!
41.
Kriegen wir hier eigentlich 0:5 einen
auf die Eier? Nein. Denn wir haben offenbar keine.
44.
Es sieht überhaupt nicht danach aus
momentan, sogar eher nach dem Gegenteil, aber wenn wir das hier noch
drehen, dann werden wir alles, ABER WIRKLICH ALLES AUSNAHMSLOS GROSS
SCHREIBEN. UND ES WIRD NICHTS AUSMACHEN, DENN HEUTE IST, WIE UNS EIN
LESER AUFKLÄRT: INTERNATIONALER CAPSLOCK DAY! Stimmt wirklich. Bzw.
STIMMT WIRKLICH!!!
45.
Simon jetzt mit der Grabrede. Erinnert
an längst vergangen Chancen wie an jugendlichen Sturm und Drang, der
90 Jahre zurückliegt. »O Valerio, und ich bin so alt, und die Welt
ist so jung!« (Frei nach Büchner)
47.
Geteilte Zeit ist halbe Zeit. Aber was
ist mit dem Leid? Jetzt kommen mir die Vize-Titel der Bayern auf
einmal vor wie ein schier unerreichbares Glück. Entschuldigen Sie
bitte, dass ich Sie ausgelacht habe, Herr Hoeneß.
21:40 Uhr
»FUSSBALL-GOTT, MACH’ IRGENDWAS«,
betet die »BILD«, die den Capslock Day wahrscheinlich erfunden hat.
Könnte nur leider sein, dass der Fußballgott mit der Arbeit schon
fertig ist.
21:41 Uhr
Jetzt grinst der Zamperoni schon wie
ein Europameister, dieser verdammte Aushilfsitaliener. Sitzt
wahrscheinlich schon auf der Vespa und brettert nach den
»Tagesthemen« mit meiner Frau über den Brenner. Sie trägt einen
Rock, den ich noch nie an ihr gesehen habe. Und ich fahre nach Amrum,
setze mich in den Strandkorb und quäle Seesterne.
21:44 Uhr
Zwei Schland-Fans, er viel zu dick, sie
viel zu dumm, gehen nach Hause und gucken lieber »Buffy« auf DVD.
Ich beneide sie.
21:45 Uhr
Es kommen wohl Klose und Reus zur
zweiten Halbzeit, was einleuchtend, sogar wünschenswert wäre, damit
zumindest irgendwas passiert. Unklar bleibt jedoch, ob sie
tatsächlich kommen, oder ob Beckmann das nur aus der »Körpersprache
des Bundestrainers« ableitet, wie er selbst sagt, oder ob es
wirklich stimmt. Was waren das für Zeiten, als die ARD immer mit in
der Kabine saß. Und Reinhold Beckmann bei »ran«. Und wir hatten
zuhause kein Kabelfernsehen. Und Deutschland, verdammt noch mal, war
Weltmeister.
21:48 Uhr
Löw müsste zurücktreten, aber das
geht jetzt leider nicht. Seine vielleicht letzte Amtshandlung: Reus
für Podolski, Klose für Gomez. Und wer für mich? Irgendwelche
Freiwillige? Hallo?
46.
Anstoß. Herzlich willkommen im
Zeitalter der falschen Hoffnungen.
47.
Kroos jetzt anscheinend über links,
für Podolski, und Reus auf rechts, im Halbfeld, im Strafraum, mit
Körpertäuschung, dem Schuss und damit, auch wenn Buffon hält,
einem kleinen Funken Hoffnung.
49.
ich schreib jetzt bis auf weiteres
alles klein. passt ja: chäncechen für lahmi. schüsslein. und
simönchen kommentiert das hier auch noch alles durch den
niedlichkeitsfilter. es ist demütigend. als würde der underdog
einem riesen am bein rumzuppeln mit seinen kleinen milchzähnen, die
keinen knochen knacken können. miau.
51.
Irgendwelche »Bravo Sport«-Leser
singen jetzt »Superdeutschland olé!«. Ich bestell mir jetzt 'ne
Pizza Depressioni. Noch irgendwer?
53.
Die größte Scheiße: Alle – ALLE! –
Sätze, die nach diesem Spiel gesagt werden, fangen mit »Im
Endeffekt« an. »Im Endeffekt waren die Italiener die stärkere
Mannschaft«, »Im Endeffekt ist das Halbfinale ein Riesenerfolg«,
»Im Endeffekt haben die Jungs die Zukunft noch vor sich«. Was im
Endeffekt in der Natur der Zukunft liegt. Ich hoffe auf meinen
baldigen Endeffekt.
55.
Geht noch was? Oder tun die Italiener
nur so, als ginge noch was, um uns dann noch mal auszukontern? Hatte
Khedira also eben eine Chance, als er im Strafraum alles umdribbelte?
Oder war das alles nur Kalkül, weil die Italiener genau wussten,
dass er eben auch wieder aus dem Strafraum rausdribbeln würde, weil
alles von italienischen Beinen verstellt war? Ich fürchte Letzeres.
56.
Cassano geht vom Feld. Grinst wie ein
Taschendieb im Vatikan. Und ich gönne ihm sogar seine Beute. Scheiß
EM-Touristen.
57.
Super Deutschland Oléeee! Super
Deutschland Oléeee! Klose köpft 22 Meter vorbei, aber: Super
Deutschland Oléeee! Super Deutschland Oléeee!
60.
Was bei Simons wackeren
Suggestionsversuchen ja leicht in Vergessenheit gerät: Italien ist
näher am 3:0 als wir am 2:1. Und ich bin näher an Erich Ribbeck als
an Joachim Löw.
62.
Foul an Kroos, Super Freistoß-Position,
aber: keine Freistoß-Schützen mehr (wir berichteten mehrfach).
Deshalb schießt jetzt Reus, und er schießt nicht schlecht, aber was
bringt das schon, er schießt ja auch nicht rein. Und im ARD-Studio
sitzt Mehmet Scholl, und wenn er Anstand hat, dann weint er jetzt.
64.
Simon fängt an, seine Karteikarten
vorzulesen. In einem EM-Halbfinale. Wenn meine Hoffnungen weiter so
vor sich hin siechen müssen, ziehe ich ihnen gleich eine Brechstange
über den Kopf.
66.
Liebe Fans, tapfer sein, das wird
nichts mehr, nicht gegen Italien. Was ich trotzdem mag: Saltimbocca
alla romana, Penne al ragu, pollo alla diavolo, die toskanische
Küste, Ossobucco alla milanese, Spaghetti alla Puttanesca,
Marchisio, der das 3:0 nicht macht, sondern Zentimeter am Tor
vorbeischießt.
68.
Die deutsche Mannschaft brauche jetzt
»ein kleines Wunder« und »öfter mal ein bisschen Glück«, meint
Simon. Phrasen wie im Musikantenstadl. Ich sag euch mal was, liebe
Deutsche: Das Brückerl, das über euer Bacherl geht, es brennt
lichterloh.
70.
Wenn ich Müller wäre, würde ich mich
jetzt endgültig von Löw scheiden lassen. Der soll es jetzt richten,
er, der Raumdeuter, wo es doch längst keine Räume mehr gibt,
zumindest nicht in der italienischen Hälfte, die Weiten in der
deutschen bewacht nun für Sie: Ihr Libero Bastian Schweinsteiger.
72.
Jetzt patzt auch noch Neuer, verzettelt
sich im Dribbling irgendwo in der Fußgängerzone von Warschau. Und
die vier Turnier-Siege bislang verblassen langsam, aber sicher wie
ein feuchter Traum, wenn der Wecker schrillt.
74.
Richtig witzig würde es ja, wenn das
tatsächlich noch in die Verlängerung ginge und Deutschland mit
dieser Fatalisten-Aufstellung weitermachen müsste.
76.
Italien drückt. Aufs Tor. Aufs Gemüt.
76.
Seelenschmerzverzerrte Gesichter nun.
Hummels schaut drein wie soeben von der Freundin verlassen. Klose wie
seine eigene Ur-Oma. Schweinsteiger genauso, wie er heißt. Özil wie
immer. Weiß er überhaupt, wie es steht?
78.
Simon jetzt mit dem Paradoxon des
Abends: Er will »die Hoffnung nicht aufgeben« und verweist darauf,
dass es auf »jeden Fall noch weitergeht. Mit Waldis EM-Club«. DAS
IST DOCH DIE RIESENSCHEISSE, MANN!
80.
Kroos. Ballert bis dorthinaus. Und Löw
ist an den Lippen abzulesen: »Ach, Toni, des kannsch du doch!« Das
klingt nicht nur nach Schwarzwald, das ist der Schwarzwald. Ganz
finster.
81.
Erstaunlich: Dass die Italiener auf der
rechten Angriffsseite permanent ausrutschen. Noch erstaunlicher: Dass
Gegenspieler Philipp Lahm trotzdem nicht an den Ball kommt.
82.
Wenn sie die Italiener schon nicht
besiegen können, laden sie sie wenigstens zu einem Tag der offenen
Tür ein. Deutsche Ingenieurskunst. Und fasziniert besichtigt di
Natale die größten Löcher der Welt.
84.
Scheint jetzt nur noch ein Test für
den Linienrichter zu sein. Abseits oder nicht? Oder doch? Simon wacht
streng über die Leistung des Fahnenmanns, trägt seine
Prüfungsergebnisse vor wie der Vorsitzende eines
Kaninchenzüchtervereins. Und irgendwo auf dieser Welt platzt der
Kopf von Matthias Sammer.
85.
Der Moment, in dem selbst der frühere
Ministrant Steffen Simon einsehen muss, dass das hier nichts mehr
wird, nähert sich unaufhaltsam. Und dann Gnade uns Gott vor dem
Abgesang, der folgen wird.
87.
Der Moment ist jetzt da. Und wird
vermutlich bis gegen 23 Uhr dauern, also 28 Minuten. Ruft bitte nicht
mehr an, ich kann nichts mehr hören. Ich gieß mir Wachs in die
blutenden Ohren. Hmmm, Wachs!
88.
Löw ist längst nicht mehr Löw. Die
ARD hat ihn durch Iris Berben ersetzt. Im Drehbuch steht: wütend
aufspringen. Virtuos gespielt. Der Bambi winkt.
89.
Man soll ja nicht alles schlecht reden,
und sicherlich werden wir dafür gegeißelt, dass wir es tun, weil
wir nicht anders können. Aber: Wäre die deutsche Nationalmannschaft
eine Band, sie sollte sich auflösen.
90.
Und dann, nur damit Simon noch ein »es
soll einfach nicht sein« loswerden kann, fällt Hummels plötzlich
im Strafraum der Ball vor die Füße, aber er schafft es nicht, ihn
aus drei Metern im Tor unterzubringen. Er schafft es einfach nicht.
einfach nicht. nicht.
91.
Was ist das jetzt für eine unnötige
Hänselei des Schicksals? Elfmeter! Für Deutschland! Nach einem
Handspiel. Özil schießt. Drin. Mein Puls rast. Und das, obwohl ich
längst tot bin. Ein medizinisches Wunder.
93.
Ich sterbe gleich. Und ich verspreche
euch: Wenn sie den Ausgleich noch machen, werde ich umgehend den
kompletten Ticker löschen und sagen, dass ich immer dran geglaubt
habe.
94.
»Neuer ist jetzt der zwölfte
Feldspieler«, zählt Simon. Und der Schiedsrichter lässt acht Tage
nachspielen.
95.
Aus, aus, der Traum ist aus. Der so
genannte.
22:24 Uhr
Adriano Celentano knarzt aus den Boxen.
Cassano trägt ein konsterniertes Baby über den Platz. Gomez und
Götze sitzen auf der Bank und haben sich nichts zu sagen. Löw
versenkt seine Gefühle mit den Händen in der Tasche. Özil liegt
auf dem Platz und weiß nicht, ob er sein Stirnband anbehalten soll.
»Dann sehen wir uns eben in zwei Jahre wieder«, sagt Simon. Muss
nicht sein.
22:46 Uhr
Simon sagt jetzt noch mal, Neuer sei
zum Schluss »der zwölfte Feldspieler« gewesen. Scheint was dran zu
sein. War das hier etwa gar kein Fußball? Das würde einiges
erklären.
22:48 Uhr
»Es geht ja weiter«, so Simon mit dem
Trostversuch, der als schlechtester in die Geschichte der Menschheit
eingehen wird. »Bei uns mit Reinhold Beckmann und Mehmet Scholl.«
Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein
Scheißdreck her.
22:50 Uhr
Das hat jetzt allerdings Stil. Scholl
stellt Satzfetzen in den Raum , macht immer wieder Pausen. »Woran...
liegt es... ... ... dass... ...wir... ... keine... Titel... gewinnen
können.« Das ist großes Beckett-Theater! Und weiter geht's im
Text:
Beckmann: »Wir finden doch immer einen
Weg, um uns einzureden, das wir existieren, nicht wahr, Scholli?«
Scholl: »Ja, ja. Wir sind Zauberer.«
22:53 Uhr
Philipp Lahm jetzt im Interview. Es
wäre mir lieber, er würde kein Interview geben. Weil ich jetzt
einfach keine Phrasen hören will. Aber er glaubt ja, dass er
vorangehen muss, Stellung beziehen, vor allem, »wenn ich merke, dass
etwas falsch läuft«. In diesem Sinne: »Jede Niederlage ist
bitter«. Danke, Capitinho.
22:55 Uhr
Wir befinden uns offenbar mitten in der
Vorbereitung für die WM 2014. Oder 2018. Perspektiven.
Entwicklungspotenziale. Nachwuchs. Toll, wer da aufrückt. Und ich
freu mich schon tierisch auf das Qualifikationsspiel im November.
Permafrost in Minsk. Operation Titel. Wer Handschuhe anzieht, ist
kein Mann.
22:57 Uhr
Der Bundestrainer beantwortet die
schneidende Frage von Opdendingsbums: »Warum?« Offenes Hemd, offene
Worte. »Von daher«, setzt er an. »Von daher.« Dann die Zeitlupe.
Löw singt: »Die Flanke darf nicht kommen.« – »In dieser Phase
war das sicherlich nicht gut.« – »Klar.« – »Von daher: Klar!«
– »Dann wird's schwer.« Er spricht flüssig. Erstaunlich flüssig
für einen Mann in seiner Situation. Beschwichtigend, deeskalierend.
Verblüffend geringe Enttäuschung. Er scheint wirklich nur in der
Zukunft zu existieren, in der Hoffnung, jener Erinnerung an die
Zukunft. Im Potenzial. Was die Frage aufwirft: Hätte er sich über
den Titel überhaupt gefreut?
23:04 Uhr
Löw abschließend: »In der Kabine
fließen absolut die Tränen.« Wenn professionell geweint wird,
bleibt kein Auge trocken. Absolut nicht.
23:05 Uhr
Cesare Prandelli im Interview. Er ist
so etwas wie der »Jogi Löw von Italien« (wir berichteten). Genauso
wie Vicente del Bosque der Jogi Löw von Spanien ist. Und Giovanni
Trapattoni der Jogi Löw Irlands. Ach nee, Trapattoni ist der Otto
Rehhagel Irlands. Dieser Prandelli jedenfalls beklagt sogar noch
einige vergebene »Ballchancen«, was auch für den Dolmetscher gilt.
Ansonsten ist er einfach nur ein sehr glücklicher und sehr stolzer
Mann. Zu Recht!
23:09 Uhr
Kroos jetzt. Lächelt sphärisch. Wie
einer, der seit Wochen nicht mehr gepennt hat. »Wir hatten
Möglichkeiten«, murmelt er. Ein Konjunktivspieler, dieser Kroos.
Könnte ein Großer sein.
23:13 Uhr
Scholl verzeiht Löw: »Wenn der
Bundestrainer seine Entscheidungen begründet, ist doch alles in
Ordnung.« Ich verwüste jetzt das Wohnzimmer. Weil ich Bock drauf
habe. Dann ist doch alles in Ordnung.
23:15
Schön an Oliver Bierhoff ist ja unter
anderem, neben seinem Haar, dass er bei jeder Gelegenheit passend
gekleidet ist. Zum Interview erscheint er, als zöge er in Zukunft
eine Karriere als Bestatter in Betracht. Nett von Oliver Bierhoff ist
unter anderem, neben seiner ganzen Schwiegersohnigkeit, dass er mit
derlei Details von seinen nichtssagenden Antworten ablenkt.
23:20 Uhr
Vielleicht war der ganze Tross auch
gerade beim Casting für eine Fortsetzung von »Six Feet Under«, in
Deutschland auch bekannt unter dem an diesem Abend geradezu
programmatischen Titel »Gestorben wird immer«. Gestorben wird vor
allem alle zwei Jahre, und heute hat es anscheinend den Kollegen von
der ARD erwischt, der die deutschen Fans auf dem Weg aus dem Stadion
erschreckt. Ich meine, ich habe ja jetzt auch ein paar Stunden nicht
mehr in den Spiegel geschaut, aber ich hoffe, ich sehe trotz
Niederlage noch etwas lebendiger aus. Wenn nicht, heuere ich gleich
morgen in der nächsten Gehgeisterbahn an.
Die Beziehung zwischen Beckmann und
Scholl zerbricht nun vor einem Millionenpublikum. »Reinhold, das ist
was ganz was anderes!« Wir blenden uns aus. 1:2 also. Und zwei gegen
einen ist immer Mist. Am nächsten Morgen wacht man auf, und alles
tut weh. Mag sein, dass wir das hier alles zu finster sehen, liebe
Fans. (Herzlich willkommen übrigens im offiziellen 11FREUNDE-Fazit!)
Aber man hat uns vier Wochen lang, ja eigentlich sechs Jahre lang mit
einer nie dagewesenen PR-Kampagne zu grenzenlosem Optimismus erzogen,
und jetzt macht es einfach »Plopp«, und wir sitzen wie kleine
Kinder vor diesem riesigen, viel zu bunten Rummel-Ballon und schauen
weinend zu, wie die Luft langsam entweicht. FFFFFFFF! Wie Löw immer
macht: FFFFFFFF! Wollte er uns das damit sagen? All die Jahre? Dann
tut es uns sehr, sehr leid. Absolut leid. Positiv leid. Und wir mach
im Chor: FFFFFFF. So ist FFFFFFFußball. Gute Nacht, liebe
FFFFFFFans. Möge es wieder Tag werden.