08 November 2015

Die kulturelle Identität

Um diese Jahreszeit liest man es in den sozialen Medien immer wieder:

Ich gehe mit meinen Kindern zum St. Martins Umzug (nicht zum 'Sonne-und-Mond-Sterne-Fest). Im Dezember freuen wir uns auf den Christkindlsmarkt (nicht auf den "Wintermarkt") und auf die Adventsbeleuchtung (nicht die "Winterbeleuchtung") und feiern dann Weihnachten (und keine "Jahresendfeier").

Ich halte viel von Toleranz und Rücksichtnahme. Nichts halte ich allerdings von den Vollidioten, die meinen, dass wir in unserem eigenen Land unsere eigenen Traditionen und unsere kulturelle Identität aufgeben sollten.


Das stimmt mich zunehmend nachdenklich. St.Martin, Christkind, Advent und Weihnachten sind allesamt Begriffe einer kirchlichen Tradition, die von den allermeisten Menschen schon lange nicht mehr gelebt wird. Zu der gleichen Tradition gehören aktuell auch ein Frauenverbot in allen Führungspositionen, Sexualitätsverbot für Priester, Verlust von Sakramentsrechten bei Geschiedenen, Diskriminierung von Homosexuellen und Androhung von Hölle und Fegefeuer für Todsünden, deren Definition man sich selbst ausgedacht hat. 
Da Martin, Christkind & Co. jedoch eher aus der Vergangenheit stammen, passen sie vielleicht besser zu Inquisition, Hexenverbrennung und Verfolgung Andersgläubiger, die ebenfalls jahrhundertelang praktiziert wurden.
Will sagen: Das sind Traditionen, von denen ich mich aufs heftigste distanziere, und daher ist es mir auch nicht wichtig, wie der Umzug genannt wird oder wie diese Feste oder diese Märkte genannt werden und es erschließt sich mir auch nicht, wie das sonst jemand wichtig sein kann.
Das Kinder gerne einen Umzug mit Fackeln, Liedern, großem Feuer und anschließendem Weck machen, dass sie sich über einen Mann auf dem Pferd freuen, das kann ich sehr gut verstehen, auch wenn ich keine eigenen Kinder hab. Alle Kinder freuen sich auf die Geschenke an Weihnachten und auf ein harmonisches familiäres Beisammensein. Ok, das zweite nur bis zur Pubertät. Wir waren doch alle mal Kinder und sollten das auch nicht vergessen.
Die Weckmänner
Diese Feste sind für viele Erwachsene, die sie noch begehen, doch längst entkoppelt vom ursprünglichen Sinn. In vielen Fällen ist die eigentliche Entstehung der Feste eh nicht mehr rekonstruierbar, viele kirchliche Feste kannten die ursprünglichen Christen gar nicht, vieles hat sich die römisch-katholische Kirche im Lauf der Jahrhunderte ausgedacht. Vieles entstand durch die Vermischung mit einheimischen "heidnischen" Traditionen.

Worauf ich hinaus will: Das ist nicht meine kulturelle Identität. Wenn jemand sich die Benamung dieser 4 Traditionen rauspickt, alle anderen Traditionen in diesem Kontext weg lässt, und erklärt, dass ihm allein diese Namen wichtig sind, und dass alle anderen, die das nicht so sehen, Vollidioten sind, dann mutet es sehr eigenartig an, wenn er gleichzeitig behauptet, viel von Toleranz und Rücksichtnahme zu halten.

Nennt die Feste, wie ihr wollt. Achtet lieber darauf, dass ihr den Kindern Werte wie Hilfsbereitschaft, Liebe und Respekt vermittelt. Toleranz und Rücksichtnahme zu leben, das ist viel wichtiger als das Beharren auf Namen aus einer oft sehr unheiligen Tradition.

5 Kommentare:

  1. Hanni17:57

    Du hast sehr gut den Punkt getroffen und sprichst mir aus dem Herzen.

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  2. Du bist ja auch ein Paradebeispiel dafür, wie man trotz schwieriger Umstände seinen Kindern genau die menschlichen Werte vermitteln kann, die wichtig sind.
    Das musste auch mal gesagt werden.

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  3. Anonym12:27

    Sehr gut gebrüllt! Ich stimme dir da voll und ganz zu!
    Nina

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  4. Markus21:29

    Also ich feiere am 25.12. ganz traditionell den Sol Invictus.
    Gruß Markus

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  5. Und ich huldige dem großen Nichts - oder dem fliegenden Spaghettimonster.

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